Full text: Zwischen Deutschland und Frankreich

3.2. Anrede 
Die Anrede und der damit verbundene Ehrwörtergebrauch sind im ausgehenden Mittelal¬ 
ter streng reglementiert und in einer breiten und traditionsreichen Anredeforschung be¬ 
legt24. 
Auffälligere Variationen finden sich am ehesten in den Briefen an Niedrigergestellte. An 
Höhergestellte folgt Elisabeth recht genau den vorgegebenen Standesbräuchen und erwei¬ 
tert die Grundformen Gnediger lieber hem (an René, 17. Juni 1432) — Nr. 42 bzw. Gnedige 
Hebe frauwe und mume (an Isabella, 19. April 1432) — Nr. 27 bei Bedarf ehrerbietig zu Hochge- 
bome furstynne, gnedige liebe fraum und mumme (an Isabella, 26. Januar 1432; entsprechend an 
René) - Nr. 7. Sie vergißt in den Briefen an ihre Cousine, die als Fürstin im Rang höher 
steht als die Gräfin und der sie zudem von der Situation her unterlegen ist, jedoch trotz 
Ehrerbietung nie den mildernden, eine Form der Gleichstellung implizierenden Hinweis 
auf die Verwandtschaft [mume). 
Für den Bischof als Geistlichen gelten etwas andere Regeln: Er wird anfangs regelmäßig 
mit Erwirdiger lieber hem (Nr. 51, 53, 54, 58, 61, 68) angeredet, im sich zuspitzenden Streit¬ 
verlauf dann nur noch mit Eieber hem (Nr. 74, 75, 78). Hier zeigt sich ein Unterschied in 
der Haltung oder zumindest der Situation Elisabeths: Je bedrängter sie ist, desto ehrerbie¬ 
tiger schreibt sie gegenüber René und ihrer Cousine als ihrer Lehnsherrschaft. Beim Bi¬ 
schof hat sie dieses Untergebenengefühl wohl nicht in dem Maß, denn ihm gegenüber läßt 
die Höflichkeit und die Demutshaltung eindeutig im Verlauf des Streits nach (vgl. 4.3.). 
Gegenüber Niedrigergestellten findet sich als Grundform Eieber getruwer an ihre Lehnsleute 
gegenüber einer erweiterten Form Besondergude frunt zum Beispiel an Georg von Rollingen, 
der zu diesem Zeitpunkt als ,Fehdehelfer’ offensichtlich gerade im Besitz der Burg ist. 
Diesen Versionen steht die harsche und nur gegenüber Johann von Kerpen verwendete 
Kurzfassung ohne Beiwort gegenüber: johan, ... (Nr. 10, 13, 14, 19-21, 23, 25, 47). 
Die Briefpartner werden sehr häufig indirekt mit uwergnaden (bzw. der Bischof mit der für 
Geistliche üblichen Anrede uwer lieben), ansonsten mit Ihr/Euch angeredet, während sich 
Elisabeth in der Selbstdarstellung auf das bescheidene ich zurückzieht. Die Ihr-Anrede ist 
seit dem 14. Jahrhundert allgemein für nicht-vertraulichen Briefverkehr als Höflichkeits¬ 
geste gebräuchlich und gegenüber Höhergestellten eine Verpflichtung, die /'¿’¿-Form war 
obligatorisch, wenn der Schreiber von niederem Rang war, wahlweise dagegen möglich, 
wenn beide fürstlichen Ranges waren25. Daß Elisabeth von sich selbst in der /¿•¿-Form 
spricht, ihre Cousine sie aber in ihren Antworten dennoch mit Ihr tituliert, könnte darauf¬ 
24 Vgl. hierzu neben Steinhausen: Geschichte des deutschen Briefes (wie Anm. 1), z. B. Ehrismann, Gustav: „Du¬ 
zen und Ihrzen im Mittelalter“, in: Zeitschrift für deutsche Wortforschung 1 (1901), S. 117-149; 2 (1902), S. 
118-159; 4 (1903), S. 210-248; 5 (1903-04), S. 126-220; Svennung, Anredeformen. Vergleichende Forschungen 
%ur indirekten Anrede in der dritten Person und %um Nominativ Jur den Vokativ, Uppsala 1958 (Acta Societaüs 
Litterarum Humaniorum Regiae Upsaliensis 42); Metcalf, George J.: Forms of address in German (1500- 
1800), St. Louis 1938 (Washington University Studies. New Series: Language and Literature 7). 
25 Vgl. Ehrismann: „Duzen und Ihrzen im Mittelalter“ 1903/04 (wie Anm. 24), S. 211; Svennung: Anrede¬ 
formen (wie Anm. 24), S. 106, 387f. 
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