konnte daher eine „irgendwie eigentümlich geformte sprachliche Äußerung [...] nicht zu¬
stande kommen, wurde auch gar nicht erwartet“5.
Ob sich diese These eines prinzipiell fehlenden persönlichen Stils im Spätmittelalter bestä¬
tigen läßt, wird im folgenden anhand eines Briefwechsels der Elisabeth von Nassau-
Saarbrücken überprüft, wobei die Problematik, daß es sich hier um geschäftliche Korres¬
pondenz der Saarbrücker Kanzlei und nicht etwa um eigenhändige Privatbriefe der Elisa¬
beth handelt, gerade unter diesem Gesichtspunkt nicht aus dem Blick geraten darf.
Materialgrundlage sind 40 deutschsprachige Briefe aus dem Zeitraum 1432-1434, die als
Konzepte oder Abschriften in der Saarbrücker Kanzlei der Elisabeth von Nassau-
Saarbrücken angefertigt und aufbewahrt wurden und heute im Landesarchiv Saarbrücken
einzusehen sind. In diesem zeitlich eng begrenzten Briefwechsel wird ein Streit um die
Burg Groß-Varsberg ca. 20 km Luftlinie südwestlich von Saarbrücken geführt, so daß die
untersuchten Briefe auch thematisch eng zusammengehören und in ihrer Abfolge einen
guten Überblick über den Streitverlauf geben.6
Nach einer kurzen Rekapitulation der zugrundeliegenden historischen Situation wird sich
ein Abschnitt mit der Frage befassen, inwieweit die Elisabeth-Briefe den zeitgenössischen
Vorgaben und Normen folgen und inwiefern eventuell bereits hier Möglichkeiten der Va¬
riation genutzt werden. Darauf folgt eine Untersuchung der Briefe unter dem Aspekt, in¬
wieweit Elisabeth als Person in den Briefen sichtbar wird. Ein abschließender Abschnitt,
in dem es auch um die Autorenfrage gehen muß (keiner der Briefe ist eigenhändig), prüft
die Ergebnisse daraufhin, inwieweit man von einem persönlichen Stil bzw. individuellen
Zügen in den vorliegenden Briefen sprechen kann.
2. Der historische Hintergrund und die Briefpartner
Elisabeth von Nassau-Saarbrücken (ca. 1394 bis 1456), Tochter des Grafen Friedrich von
Vaudémont und der Margarethe von Joinville, heiratet 1412 Philipp I. von Nassau-
Saarbrücken und übernimmt nach dessen Tod 1429 die Verwaltung der Grafschaft bis zur
Übernahme der Regierung durch ihre Söhne Philipp II. und Johann III. Ihr Sohn Johann
steht im Dienst des Herzogs von Lothringen. Dies ist 1429 noch ihr Onkel Karl IL, ab
1431 aber dessen Schwiegersohn René/ Reinhart von Anjou. René ist seit 1424 Herzog
5 Nickisch: Stilpnn-^ipien (wie Anm. 3), S. 22.
6 LA Saarbrücken, Best. N-S II (=Depositum LHA Koblenz Abt. 22). Die hier zitierten Transkriptionen,
bei denen Kürzel alle aufgelöst erscheinen, wurden im Rahmen eines Editionsprojektes des Germanis¬
tisch-historischen Arbeitskreises an der Universität Mainz unter Leitung von Prof. Dr. Albrecht Greule
und Prof. Dr. Karl-Heinz Spieß erstellt und liegen in dem Beitrag „Varsberg-Korrespondenz“ in diesem
Band S. 254-366, ediert vor. Zum Streitverlauf im Detail vgl. außerdem den Beitrag von Jürgen Herold
in diesem Band S. 231-254. Bei Ausarbeitung dieses Aufsatzes waren die Transkriptionsarbeiten noch im
Gange, so daß die verwendete Materialbasis um einiges kleiner ist als die jetzt gesamt vorliegende Vars¬
berg-Korrespondenz. Da insbesondere die französischen Briefe noch nicht einbezogen werden konnten,
sind die Ergebnisse der Untersuchung möglicherweise entsprechend zu erweitern.
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