Art einer Gerichtsrede. Solche Briefe wurden als förmliche Rechtsmittel beim Führen ei¬
nes Rechtsstreites gebraucht.
Die Analyse der Briefe hat zudem gezeigt, daß die Gestaltung des Briefformulars festen
Regeln folgte. Diese lassen sich zum einen von den Grundsätzen der ARS DICTANDI her¬
leiten, wonach für den Brief fünf Teile (PARTES) vorgeschrieben waren: SALUTATIO,
EXORDIUM, NARRATIO, PETITIO und CONCLUSIO. Die PARTES selber sind jedoch noch in
weitere, stets wiederkehrende Elemente gegliedert, die sich von den Elementen des Ur¬
kundenformulars ableiten lassen. Die konkrete Ausgestaltung des Formulars geht vom
Verhältnis des Absenders zum Empfänger innerhalb der mittelalterlichen Sozialhierarchie,
das ein über-, gleich- oder untergeordnetes sein konnte, aus. In den mittelalterlichen
Briefstellern wurde dieses System im ganzen als ORDO TRIPLEX, die einzelnen Grade je¬
weils als ORDO SUBLIMUS, ORDO MEDIOCRIS und ORDO INFIMUS o. ä. bezeichnet. Für je¬
den dieser ORDINES gab es feste Vorgaben hinsichdich der Ausformulierung und Anord¬
nung der einzelnen Briefelemente, die zusammen mit dem System der Titel und Anreden
die Gestalt des Briefes besdmmt haben. Bei den LITTERAE CLAUSAE kommt dabei der
INSCRIPTIO eine Schlüsselstellung zu, da sie als Außenadresse mit ihren Titeln und Anre¬
deformen den jeweiligen ORDO begründet, von dem aus das Briefformular als im Weite¬
ren entwickelt erscheint. Die Untersuchung hat zudem gezeigt, daß es zwar Spielräume
für die Ausgestaltung des Formulars gab, diese aber sehr gering waren. Wenn solche
Spielräume genutzt worden sind, konnten sie jedoch mit Strategien der Verhandlungsfüh¬
rung in Verbindung gebracht werden, die zu beobachten sich für die Interpretadon der
Briefe als durchaus wichtig erwiesen hat.
Die Ergebnisse der quellenkundlichen Untersuchung sind allein auf der Grundlage des in
dieser Edition vorliegenden Briefcorpus, das zeitlich, räumlich und auch thematisch eng
begrenzt ist, gewonnen worden. Der Vergleich mit Georg Steinhausens Edition „Deut¬
sche Privatbriefe des Mittelalters“ und den darin enthaltenen Briefen von und an „Fürsten
und Magnaten, Edle und Ritter“ (Bd. 1) zeigt jedoch, daß sich die strukturellen Grundsät¬
ze, die bei der Varsberg-Korrespondenz zu beobachten sind, auch in einem größeren
Kontext wiederfinden117. In welchem Rahmen sie Allgemeingültigkeit beanspruchen kön¬
nen und ob zudem noch andere Tendenzen existiert haben, bleibt weiteren, bereits ge¬
planten Untersuchungen überlassen. Die an den Varsberg-Briefen gewonnenen Ergebnis¬
se der quellenkundlichen Analyse stellen die Grundlage für deren nun sich anschließende
historische Interpretation dar.
2. Der Varsberg-Konflikt im Spiegel der Varsberg-Korrespondenz
Den historischen Rahmen für den Varsberg-Konflikt bildete, wie bereits eingangs
erläutert wurde, der lothringische Erbfolgestreit. Er wurde dadurch ausgelöst, daß nach
dem Tod von Herzog Karl von Lothringen dessen Neffe Anton von Vaudemont als
117 Deutsche Privatbriefe des Mittelalters, Bd. 1: Fürsten und Magnaten, Edle und Ritter, Band 2: Geistliche, Bürgerl, hg.
von Georg Steinhausen, Berlin 1899-1907 (Denkmäler der deutschen Kulturgeschichte, Erste Abtei¬
lung: Briefe, 1. und 2. Band).
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