Full text: "Grenzgänger" (33)

andersetzung mit einer anderen befruchtet werden, sich vielleicht auch rascher ent¬ 
falten, Etappen überspringen kann sie nicht. Sie muß letztlich ihren eigenen Weg fin¬ 
den. Langens Enttäuschungen und Mißerfolge erscheinen mir deshalb in Hinblick 
auf die Grenzgängerproblematik im allgemeinen signifikant zu sein. Die Tragik der 
Grenzgänger besteht oft darin, daß sie in erster Linie Pioniere sind, die das Terrain er¬ 
kunden und vorbereiten, die Anstöße und Anregungen vermitteln. Die Früchte ihrer 
Pionierarbeit ernten fast immer andere. 
Der Grenzgänger als ‘Importeur’ und ‘Exporteur’ von Ideen 
Als Verleger vermittelte Langen vorrangig Manuskripte und Bücher, doch war er 
mehr als ein ‘normaler’ Verleger an der Schaltstelle zwischen Autor, Werk und Pu¬ 
blikum. Von seinen Grenzgängen brachte er eine Vielzahl von Anregungen und Ide¬ 
en mit, die er mit mehr oder weniger Erfolg in seiner Heimat zu konkretisieren ver¬ 
suchte. 
Viele dieser Ideen haben mit dem Buch und dem Buchmarkt zu tun. Frankreich war 
ein Land, in dem die Vermarktung der Literatur fortgeschrittener war als in Deutsch¬ 
land. So hatte Langen während seines ersten Paris-Aufenthalts die enormen Werbe¬ 
kampagnen erlebt, mit denen z.B. das Erscheinen eines neuen Zola-Romans auf Pla¬ 
katen und Handzetteln angekündigt wurde, die bekannte Künstler wie Jules Cheret, 
Toulouse-Lautrec oder Th. A. Steinlen entworfen hatten. Als er 1896 seinen Simpli¬ 
cissimus gründete, versuchte er, die Zeitschrift durch ein solches von Th. Th. Heine 
entworfenes Plakat zu lancieren, doch hatte dieses in Deutschland noch ungewöhnli¬ 
che Werbemittel (das in Frankreich übrigens fast ausschließlich in der Hauptstadt 
eingesetzt wurde), wie die katastrophalen Verkaufsergebnisse der ersten Nummern 
zeigten, nicht den geringsten Erfolg. Erst Kurt Wolff gelang es nach dem Ersten 
Weltkrieg mit seinen aufwendigen Plakatkampagnen an den Litfaßsäulen, die Aufla¬ 
gen von Gustav Meyrinks Golem und Heinrich Manns Untertan in die Höhe schnel¬ 
len zu lassen. Wieder einmal hatte Langen undankbare Pionierarbeit geleistet. 
Mehr Glück hatte er mit einer anderen Idee. Ebenfalls in Frankreich hatte er als neue 
und lukrative Vertriebsform den Bahnhofsbuchhandel kennengelemt, der sich all¬ 
mählich auch in Deutschland entwickelte. Die Bahnhofsbuchhandlungen nahmen 
den potentiellen Lesern die ‘Schwellenangsf und ermöglichten es, neue Lesergrup¬ 
pen anzusprechen, die eine traditionelle Buchhandlung im allgemeinen nicht betra¬ 
ten. So gründete Langen im Frühjahr 1897, bald nach seiner Niederlassung in Mün¬ 
chen, die preiswerte “Kleine Bibliothek Langen”, die vor allem - darauf wurde in der 
Werbung immer wieder hingewiesen - als “Reiselektüre” gedacht war. Bei der Kon¬ 
zeption dieser Reihe nutzte Langen Erfahrungen, die französische Verleger im Bahn¬ 
hofsbuchhandel bereits gemacht hatten; das mag erklären, warum gerade seine Reihe 
langlebiger und erfolgreicher als die seiner Konkurrenten war. 
Auch eine neue Form der Buchgestaltung führte Langen aus Frankreich nach 
Deutschland ein, nämlich das broschierte Buch mit dem von Künstlerhand gestalte¬ 
ten Umschlag, der mit dem broschierten Buchblock im Gegensatz zu dem sich später 
herausbildenden Schutzumschlag eine Einheit bildet. Wie die für ein Produkt wer¬ 
benden Plakate sollten diese Umschläge bei der Überproduktion auf dem Buchmarkt 
einen werbenden Effekt haben, Kunden anlocken und den Kaufentschluß herbeifüh- 
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