die Moral der neuen Zeit, eine Art ‘unschuldige’ Schlechtigkeit, demonstriert. Als
sich schließlich 1897 das Frankfurter Theater zu einer Aufführung entschloß, rea¬
gierten die Zuschauer mit Unverständnis und Ablehnung.
Spätestens 1898 machte sich Langen keine Illusionen mehr, was seine Mittlerrolle
zwischen der modernen französischen Literatur und den deutschen Lesern betraf:
“Gute französische Romane in Übersetzung werden nämlich nicht gekauft” schrieb
er im Sommer 1898 an Paul Kühn.9 Und seinem Pariser Vertreter Paul Michaelis ge¬
stand er im selben Jahr, er sei über den Mißerfolg seiner literarischen Vermittlertätig¬
keit zwischen Frankreich und Deutschland verzweifelt, denn er zöge es vor, seriöse
Autoren zu verlegen: “J’en suis tout à fait désolé; car moi je préférais d’éditer des au¬
teurs sérieux.”10
Wenn sich die “gute”, “seriöse” französische Literatur, mit der Langen seine Lands¬
leute bekanntmachen wollte, schlecht verkaufte, so reüssierten hingegen auf Anhieb
Marcel Prévost und andere französische Unterhaltungsschriftsteller.11 Da es sich der
Verleger nicht leisten konnte, in allen Bereichen defizitär zu arbeiten, baute er die
Sparte der französischen Unterhaltungsliteratur aus, und so kamen die Waagschalen
des Verlages - die Waage war das Langensche Verlagssignet - wieder ins Gleichge¬
wicht.
Unter den französischen Unterhaltungsschriftsteilem ist Marcel Prévost Spitzenrei¬
ter.12 Die größten literarischen Erfolge dieses Schriftstellers, mit dem Langen 1897
einen Vertrag auf Lebenszeit schloß, lagen sowohl in Frankreich als auch in Deutsch¬
land zwischen 1890 und 1910, doch verstand es Prévost, seine Themen geschickt den
sich wandelnden gesellschaftlichen Verhältnissen und den veränderten Lesererwar¬
tungen anzupassen. So stieg er kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs auf vater¬
ländische Romane um. Eine Zwischenstellung nimmt sein 1906 veröffentlichter Ro¬
man Monsieur et Madame Moloch ein, in dem, wie auch in anderen französischen
Deutschlandromanen jener Jahre, die Theorie von den zwei Deutschland vertreten
wird. Allerdings ist der Vertreter des ‘guten’ Deutschland, der idealistische Natur¬
wissenschaftler Professor Zimmermann, bei Prévost bereits eine lächerliche Figur,
und der Roman läßt keinen Zweifel daran, daß Gewalt und Machtdenken im Reich
bereits über den Geist gesiegt haben und das ‘böse’ Deutschland säbelklirrend auf ei¬
nen europäischen Krieg zusteuert.
Langen brachte den Roman 1907, also nur ein Jahr nach seinem Erscheinen in Frank¬
reich, in deutscher Übersetzung heraus, obgleich er wußte, daß dieser nichts mehr mit
der auf dem deutschen Markt beliebten Unterhaltungsliteratur von Prévost zu tun hat¬
te und sich deshalb weniger gut verkaufen würde. Darüber hinaus hatte er wegen des
Inhalts Angriffe von seiten der nationalistischen deutschen Presse zu erwarten, in de-
9 Zitiert im Typoskript von Hanns Floerke. Der Albert Langen Verlag, Anhang Bl.21 (Deut¬
sches Literaturarchiv, Marbach a. Neckar, Nachlaß Gustav Pezold).
10 Brief an Michaelis vom 25.3.1898 (wie Anm.9), Anhang Bl. 1.
11 Zum Beispiel Georges Ohnet, Jules Case, Daniel Lesueur d.i. Jeanne Loiseau, Jeanne Mar-
ni, François de Nion.
12 Die ersten drei Titel von Marcel Prévost verlegte Langen 1895, darunter den berühmt be¬
rüchtigten Roman Demi-vierges (Halbe Unschuld). Insgesamt gab Langen 36 Titel dieses
Schriftstellers heraus.
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