sich im Januar 1899 in Paris nieder, wo er alte Freunde wiederfand, neue Beziehun¬
gen knüpfte und seinen Verlag fast viereinhalb Jahre ‘femsteuerte’.
Albert Langen, dessen Verlag und Simplicissimus in einer Art Symbiose arbeiteten,
besaß einen kleinen, über seinen frühen Tod hinaus stabilen Stab von Mitarbeitern,
die alle einer Generation angehörten. Sie waren 1896 zwischen 22 und 30 Jahre alt
bzw. jung, keiner von ihnen hatte den Krieg von 1870/71 bewußt miterlebt. Einige
der Mitarbeiter kannten Frankreich bereits, bevor sie mit Langen zusammenarbeite¬
ten (so die Künstler Eduard Thöny und Ferdinand von Reznicek), andere lernten das
Land erst durch Langen kennen, der sie während seines Exils nach Paris kommen
ließ, so wie er 1895, nach seiner Niederlassung in München, seine Pariser Freunde in
die Isarmetropole eingeladen und sie mit den bayrischen Sitten bekanntgemacht hat¬
te. Ludwig Thoma, den ‘bodenständigsten’ seiner Mitarbeiter, lockte Langen im
Frühjahr 1902 für mehrere Monate nach Paris. Thoma lernte Künstler wie Albert
Besnard und Eugène Carrière kennen, besuchte Auguste Rodins Atelier, traf mit dem
Ingenieur Paul Clemenceau, einem Bruder von George Clemenceau, und dem Haupt¬
mann Picquart, einem der wichtigsten Protagonisten in der Dreyfus-Affare, zusam¬
men. Wie Thoma in einem Brief an seinen Freund und Mitarbeiter Paul Geheeb
schrieb, bemühte sich Langen dämm, ihn “zum Europäer heranzuziehen, der für das
Pariser Pflaster tauglich ist.”6 Zu diesen individuellen Frankreicherlebnissen gesell¬
ten sich kollektive. Mehrmals unternahmen Langen und seine Mitarbeiter Radtouren
durch Südffankreich. Im Buch- und Zeitschriftenverlag, in dem der deutsch-französi¬
sche Kulturtransfer einen wichtigen Platz einnahm, arbeiteten also Männer, die das
Land und meist auch dessen Sprache kannten. Auch nach seiner Begnadigung durch
den sächsischen König und der Rückkehr aus dem Exil im Frühjahr 1903 reiste Lan¬
gen immer wieder über den Rhein, vor allem als er 1907 mit der Herausgabe einer
zweiten Zeitschrift mit dem Titel März begann und wegen der zahlreichen französi¬
schen Mitarbeiter in Paris ein März-Büro einrichtete, das ein Luxemburger, Paul
Bruck, leitete.
Aus dem bis jetzt Gesagten ergibt sich, daß die Herkunft aus einer dem Nachbarland
Frankreich gegenüber aufgeschlossenen, dynamischen rheinländischen Industriel¬
lenfamilie, für welche die westliche Grenze nicht Begrenzung, sondern Öffnung be¬
deutete, Langens Grenzgängertum ohne Zweifel begünstigt hat. Überschreiten des
Rheins, Interesse für das, was auf der anderen Seite vor sich ging, Unvoremgenom-
menheit im Umgang mit dem Nachbarn und Bereitschaft, von ihm zu lernen, hatten
in dieser liberalen Familie Tradition. Von seinen Vorfahren an Warenaustausch über
die Grenzen hinweg gewöhnt, wird Albert Langen versuchen, als Verleger ähnliche
Prinzipien beim Austausch kultureller Güter anzuwenden und damit bei seinen Zeit¬
genossen nicht selten auf Mißverständnis oder Ablehnung stoßen.
Der weitere Lebensweg des Verlegers, die langen freiwilligen und unfreiwilligen
Auslandsaufenthalte, vor allem die beiden Frankreichaufenthalte 1890-1894 und
1899 bis April 1903, die Heirat mit einer Norwegerin, die selbst die Tochter des mit
seiner Familie durch Europa reisenden Europäers Bjömstjeme Bjömson war, der
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Brief Thomas an Reinhold Geheeb vom 13.3.1902. Zitiert nach Andreas Pöllinger, Der
Briefwechsel zwischen Ludwig Thoma und Albert Langen 1899-1908, Frankfurt a.M.
1993,2. Teil, S.737.