bahnwesens wurde der Einzugsbereich größer, obwohl nach wie vor die meisten aus¬
wärtigen Arbeiter aus einer 80-km-Zone kamen23 und zumeist nicht länger als ein
halbes Jahr in ihrem Dienstverhältnis blieben.24 Die Frage nach einem täglichen
Pendlerwesen läßt sich vorerst nicht beantworten, weil die für die Wanderarbeit in er¬
ster Linie herangezogenen Melderegister für diese Spezialfrage als Quelle nicht in
Frage kommen.
Offenbar recht unbedeutend war der Arbeitskräfteaustausch zu den benachbarten In¬
dustrierevieren in Lothringen und Luxemburg, wo in größerem Umfang Italiener ar¬
beiteten. Auch hier scheint es ein tägliches Pendeln über die Grenze zunächst noch
nicht gegeben zu haben. Nach dem Ersten Weltkrieg wandelten sich die Verhältnisse,
insofern die im Saarland typische Seßhaftigkeit der Arbeiter außerhalb der eigentli¬
chen Reviere dazu führte, daß nunmehr regelmäßig eine größere Zahl von “Saargän-
gem” anreiste. Insofern manche Gruben gemeinsam mit französischen Gesellschaf¬
ten bewirtschaftet wurden, sprach man auch von “Lothringengängem”.25
Eine sehr veränderte Situation ergab sich nach dem Zweiten Weltkrieg, weil die In¬
tensivierung des öffentlichen Nahverkehrs und des Individualverkehrs hier das
Grenzgängertum im strengeren Sinne ungemein begünstigte. Um nur eine Zahl zu
nennen: 1950 lebten 6700 Arbeiter und Angestellte (= 2,4 % der Beschäftigten) au¬
ßerhalb der Landesgrenzen, dagegen waren es 1952 bereits 11700 (= 3,8 %). Die
Zahl der saarländischen Lothringengänger lag 1950 übrigens bei 5900.2b
Im Vorstehenden war der Blick auf vier größere Gruppen von (zumeist) saisonalen
Wanderarbeitern gerichtet worden. Die Quellenlage und der Aufarbeitungsstand leg¬
ten dies nahe. Aber damit dürfte nur em Teil des Gesamtphänomens angesprochen
sein, dessen Ausmaß und Intensität undeutlich bleiben. Es lassen sich jedoch zusätz¬
liche Hinweise geben, die aber ebenfalls keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhe¬
ben. Immerhin hat der bereits erwähnte Julius Ludwig mit seiner Dissertation von
1914 über “Die polnischen Sachsengänger in der badischen Landwirtschaft und In¬
dustrie” ein für das Großherzogtum Baden seit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhun¬
dert relevantes Phänomen recht umfassend untersuchen können und Statistiken über
Anzahl und Aufenthaltsdauer geboten, auch polizeiliche Verordnungen, Kostenrech¬
nungen, Löhne, Vermittlungsagenturen und die Tätigkeit der Kammern berücksich¬
tigt, ja selbst den Arbeitsalltag bereits mit Interesse erfaßt.
Fast schon “klassische” Grenzgängerregion sind die Gebiete am Hochrhein und am
Oberrhein. Für das “Grenzgängerwesen von Vorarlberg in die Schweiz” reichen die
Anfänge bis in das frühe 16. Jahrhundert zurück. Sie spielten sich im 19. Jahrhundert
hervorragend ein, bis der Ausbruch des Ersten Weltkriegs diese Wirtschaftsbezie¬
hungen stark störte: “Zu dieser Zeit”, meinte Peter Mensburger, “wurden sich die Be¬
23 Ebd. S.138, 155.
24 Ebd. S.246f.
25 Fritz Hellwig, Saar zwischen Ost und West. Die wirtschaftliche Verflechtung des Saarindu¬
striebezirks mit seinen Nachbargebieten (Bonn 1954) bes. S.123f.
26 Hellwig S.123; vgl. Arthur Zeitler, Freizügigkeit und soziale Sicherheit der Grenzgänger
im saarländischen Abschnitt der deutsch-französischen Grenze und der wirtschaftlichen
Eingliederung des Saarlandes in die Bundesrepublik Deutschland, Diss. Würzburg 1963,
S.4ff.
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