grund der Eigenart der politischen Westgrenze hier nur zum Teil genutzt werden kön¬
nen. Es gibt nämlich eine Reihe Faktoren, die Transgrenzintegrationsprozesse er¬
schweren. Darunter sind die geringe Zahl der Grenzübergänge (durch Mangel an
Brücken über die Grenzflüsse), Unterschiede in der Wirtschaftsentwicklung auf den
beiden Grenzseiten zu erwähnen und endlich spezielle Funktionen der Grenze, die
nicht nur als Staatsgrenze, sondern auch als Grenze an die Europäische Union und
den Nordatlantischen Bund angesehen werden muß. Äußerst anstrengend wird es für
Polen sein, die soziale und ökonomische Infrastruktur vorzubereiten. Erstens soll un¬
ter Grenzlandbevölkerung die deutsche Sprache gelernt und allgemein popularisiert
werden. Die nächste Sache ist, die Geschichte - vor allem die neueste Geschichte der
beiden Nationen - so vorzustellen, daß sie keine Vorurteile hervorruft.
Es müssen auch Maßnahmen getroffen werden, die den in beiden Ländern vorhande¬
nen nationalistischen oder sagar faschistischen Tendenzen entgegenwirken.
Wirtschaftlich gesehen ist die Verbesserung der Wege und der Eisenbahnlinien auf
der polnischen Seite wie auch der Bau von Autobahnen unentbehrlich.
Außerdem sollen Abwasserreinigungsanlagen, moderne Haldenkippen, Müllver¬
brennungsanlagen und so weiter gebaut werden. Einige Investitionen, wie Arbeiten
im Bereich der Wasserwirtschaft im Odergebiet oder die mit dem Ausbau des Fern¬
sprechverkehrs verbundenen Investitionen, zwingen sogar die Leute zum gemeinsa¬
men Handeln.
Man darf auch nicht vergessen, daß Berlin mit seinem ungefähr 45 km von der polni¬
schen Grenze entfernten westlichen Stadtrand eine der sich am schnellsten entwik-
kelnden Städte Europas ist. Das soziale und wirtschaftliche Hinterland für so große
Städte befindet sich am häufigsten auf dem Gebiet im Umkreis von 100 km. Daraus
ergibt sich eine große Chance für Westpolen. Hier können verschiedene Firmen und
Unternehmen entstehen, die gewisse Profite bringen und dank derer neue Arbeits¬
plätze geschaffen werden können.
Im Prozeß der Wirtschaftsbelebung des westlichen Grenzgebiets Polens sind aber
auch negative Seiten zu sehen. Es kommt vor, daß über die Grenze (aus Deutschland
nach Polen) giftige Abfälle befördert werden, die dann in Grenzwaldgebieten “depo¬
niert” werden. Man trifft sich auch mit verschiedenen sozialen Pathologien und Ver¬
brechen. Diese sowohl positiven als auch negativen Erscheinungen und Prozesse las¬
sen sich in den kleinen Grenzgebieten beobachten. Daraus sind bestimmte Schlußfol¬
gerungen zu ziehen, die dann bei den Integrationsprozessen eine sehr große Rolle
spielen können.
Die Einschätzung der Transformationsprozesse im polnisch-deutschen Grenzgebiet
muß durch eine allgemeine Reflexion ergänzt werden. Aus der Geschichte lernen
wir, daß alle heftigen Verwandlungen - Revolutionen - neben der ihnen zu Recht oder
nur für Propagandaziele zugeschriebenen Verdienste, auch eine Reihe negativer Er¬
scheinungen hervorgerufen haben.
Sowohl die Behörden als auch die Bevölkerung sollen das beachten und die Verände¬
rungen im deutsch-polnischen Grenzland nicht beschleunigen. Ihr vernünftiger, ra¬
tioneller Verlauf wird nicht nur für beide Länder, sondern auch für die gesamten eu¬
ropäischen Integrationsprozesse nützlich sein. Es soll nämlich nicht vergessen wer¬
den, daß die europäische Integration keine statische Erscheinung ist. Viele Länder
Europas möchten sich der Europäischen Union anschließen. Eine große Rolle spielt
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