Arena, in der Werte, Normen, Deutungsmuster von kulturellen Akteuren ständig neu
„verhandelt“ werden“, womit „jeder Bestimmung von Kultur als Substanz, als We¬
sen oder als Struktur eine Absage erteilt (wird) - statt dessen wird sie primär als Pro¬
zeß konzipiert“.28 Daß der Blick auf Aushandlungsprozesse gerade in bezug auf Min¬
derheiten notwendig ist - die bereits vom Begriff her durch eine Beziehung zu einer
anderen Gruppe, nämlich der Mehrheit, definiert sind -, exemplifiziert Schiffauer an¬
schließend an einer sogenannten „neuen Minderheit“29, türkischen Migranten in
Deutschland. Er stellt dabei fest, daß eine lediglich dualistische Perspektive, die sich
in der Zuschreibung bzw. Absprechung einer eindeutigen Identität als Türke er¬
schöpft, „gewaltsam“ wirkt, „wie ein ungeduldiges Auflösen von Widersprüchen,
die zwar nicht angenehm sind, aber ausgehalten werden müssen“30. In diesem kultu¬
rellen Zusammenhang scheint somit eine Grenze ihren Charakter als scheidende
Trennlinie zu verlieren und eröffnet die Chance, sie als Verbindung zu begreifen, die
Widersprüche sowohl aushalten muß als auch vermitteln kann.
5. „Wandern zwischen den Identitäten“
Das Diskursfeld Sorbisch kennt aber nicht nur Ambivalenz: Es existiert heute weiter¬
hin ein Muster, das Identität nicht nur im Widerspruch formuliert, sondern eindeutig
trennt: das Muster der ’kompetenten Grenzgänger’ - ‘echte’ Sorben sprechen Sor¬
bisch mit Sorben und Deutsch mit Deutschen, möglichst mischungs- und akzentfrei.
Ihnen gegenüber erscheinen die Mühlroser sich selbst als unecht und „nicht ganz
richtig“: Sprache als Alltagspraxis und Angelpunkt der eigenen kulturellen Identität
behauptet exakt das Zur-Deckung-Kommen eines klassischen Ethnizitätsverständ-
nisses, dem nur mit ungenügender Authentizität geantwortet werden kann. Ohne auf
die historisch-sozial-ökonomischen Bedingungen der Beharrung, vielleicht auch Re¬
organisation, eines solchen Konzepts näher einzugehen, möchte ich es doch als inter¬
essante Version eines kulturellen Grenzgängers kurz skizzieren.
Der sorbische kompetente Grenzgänger zwischen der slawischen und der deutschen
Kulturwelt ist durch die symbolische Transformation seiner gesamten Person ins je¬
weilige Kulturfeld gekennzeichnet: Setzen wir den Fall eines imaginären sorbischen
Mercin Wicaz, so wird dieser in sorbisch-slawischen Kontexten mit diesem Namen
agieren. In einem deutschen Kontext und deutschem Dialog wird er sich als Martin
Lehmann präsentieren - und damit jede Differenz unsichtbar machen. Stefan Buch¬
holt beschreibt in einer Gemeindestudie einen gleichermaßen auf die deutsche Au¬
ßenwelt wie die sorbische Gemeinschaft bezogenen jungen Mann, den er als ,,‘dual
28 Werner Schiffauer, Kulturalismus versus Universalismus, in: Werner Schiffauer, Fremde
in der Stadt. Zehn Essays über Kultur und Differenz, Frankfurt am Main 1997, S. 148.
29 Zur Diskussion um Unterschiede und Gemeinsamkeiten alter sowie neuer Minderheiten in
Europa vgl. Ingrid Gogolin/Marianne Krüger-Potratz/Ursula Neumann, Kultur und Spra¬
chenvielfalt in Europa - Bilder von gestern, Visionen von morgen?, in: Ingrid Gogolin u.a.
(Hg.), Kultur und Sprachenvielfalt in Europa, Münster, New York 1991, S. 1-19.
30 Werner Schiffauer (wie Anm. 28) S. 154.
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