Im Hinblick auf die Thematik, der die gesamte Tagung gilt und die ihren ein¬
deutigen Schwerpunkt in Verhältnissen der Gegenwart hat, läßt sich gewiß
dreierlei herausstellen:
1. Die Vergleichbarkeit zwischen Moderne und Mittelalter wird dadurch er¬
schwert, daß im Mittelalter Formen moderner Staatlichkeit fehlen, während
heute in erster Linie Staaten und Staatenverbände als Träger sprachenpolitischer
Zielsetzungen fungieren. Zwar sind im Mittelalter auch staatliche Bemühungen
ähnlicher Art zu beobachten, beispielsweise wenn man an bürokratische Prakti¬
ken, Rationalisierungstendenzen und anderes dieser Art denkt. Die gebotenen
Beispiele weisen aber vor allem auf nichtstaatliche Träger sprachenpolitischer
Maßnahmen, etwa auf einen Reformorden wie die Zisterzienser, der europaweit
sich ausdehnte und gleichwohl streng zentralistisch organisiert war. Auch die
deutsche Hanse ist als „Zusammenschluß von norddeutschen Kaufleuten“, der in
der Mitte des 14. Jahrhunderts in eine Städtegemeinschaft umgewandelt wurde,
kein staatliches Gebilde, obwohl sie in Teilen ein staatliches Vakuum füllt.
2. Sprachenvielfalt, im üblichen Konkurrieren miteinander, auch in Rivalität
und gar Feindschaft, tritt häufig genug auf. Hervorzuheben sind meines Erach¬
tens bemerkenswerte Bemühungen, mindestens in Großreichen oder überregio¬
nalen Organisationsformen, der sprachlichen Vielfalt nicht aggressiv oder be¬
tont kämpferisch zu begegnen, sondern ihr bewußt zu entsprechen bzw. Rech¬
nung zu tragen durch postulierte Zwei- und Mehrsprachigkeit in den staatlichen
Instanzen und in den Führungsschichten. Dieses Postulat war anspruchsvoll und
zeugt von einem beachtlichen Maß an Einsicht in gesellschaftliche Grundbe¬
dingungen, es bekundet auch politische Reife.
3. Bezogen auf unser Rahmenthema ist ein grundsätzlicher Unterschied zwi¬
schen Grenzregionen und dem Binnenland nicht erkennbar, weil auch dieses
ethnisch und sprachlich sehr differenziert war. Wohl aber treten Grenzregionen
durch eine größere Belegdichte - vermutlich vor allem infolge ausgeprägteren
Problembewußtseins - deutlicher heraus.
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