Full text: Sprachenpolitik in Grenzregionen

Forderung seines Vaters Karl IV., die für diesen mehrfach belegt ist und mit 
der Fixierung in der Goldenen Bulle von 1356 verfassungsrechtliche Bedeutung 
für das Reich erlangt hatte. Hinter ihr steht die Rechtsfigur einer herrscherli¬ 
chen Personalunion, welche die Zusammenfassung unterschiedlicher Herr¬ 
schaftskomplexe bis hin zu Fürstentümern und Königreichen in der Hand eines 
Herrschers ermöglichte, ohne die Selbständigkeit der einzelnen Teile grund¬ 
sätzlich anzutasten. Nur die Person des Herrschers bildete die gemeinsame 
Klammer, und die Respektierung der Glieder war politisch geboten. Psycholo¬ 
gisch wirkte sie sich am stärksten aus, wenn der betreffende Herrscher die 
Sprache des jeweiligen Herrschaftsbereichs verstand, sprach und schrieb. Hierin 
sah Kaiser Karl IV. ein wesentliches Element politischer Klugheit, und er 
empfahl bereits für die kurfürstlichen Prinzen eine entsprechende Sprachausbil- 
dung, damit sie einst des vielgliedrigen Reiches „Gesetze und die Verwaltung 
verschiedenartiger, durch Sitten, Lebensweise und Sprache sich unterscheiden¬ 
der Völker“ regeln könnten. „In der Eigenart verschiedener Sprachen und 
Zungen (sollten sie) unterwiesen werden, damit sie mehr Leute verstehen und 
von mehr Leuten verstanden werden, wenn sie bei der Fürsorge für die Be¬ 
dürfnisse so vieler der kaiserlichen Majestät beistehen und einen Teil ihrer Re¬ 
gierungssorgen tragen.“27 Dies kommt dem Verzicht auf eine allgemeine Spra¬ 
chenpolitik gleich, obwohl hinzugefügt werden muß, daß dem lockeren Gefüge 
des römisch-deutschen Reiches spätestens seit dem 14. Jahrhundert zwingende 
staatliche Maßnahmen nie entsprochen hätten, geschweige hätten realisiert wer¬ 
den können. Nur insofern läßt sich - trotz beeindruckendem Respekt vor ande¬ 
ren ethnischen und nationalen Identitäten und ihren Dialekten wie Sprachen - 
nicht von modellartiger staatlicher Toleranz unter Verzicht auf Sprachenpolitik 
sprechen. Reflektiert war die zitierte Haltung gleichwohl, wie sich beispiels¬ 
weise in sprachdidaktischen Anweisungen der zitierten Goldenen Bulle von 
1356 entnehmen läßt: „Die Söhne oder Erben und Nachfolger“ der Kurfürsten 
(und des Kaisers) sollten, „- da man als wahrscheinlich voraussetzt, daß sie die 
ihnen angestammte deutsche Sprache kennen und von Kindheit an gelernt haben 
- von ihrem siebenten Lebensjahr an in der lateinischen, der italienischen und 
der tschechischen Sprache unterrichtet werden, so daß sie bis zum vierzehnten 
Lebensjahr, je nach der ihnen von Gott verliehenen Begabung, damit vertraut 
seien; denn dies wird nicht nur für nützlich, sondern aus obgenannten Gründen 
für höchst notwendig erachtet, weil diese Sprachen am meisten für den Ge¬ 
brauch und Bedarf des heiligen römischen Reiches angewendet zu werden pfle¬ 
gen und weil in ihnen die wichtigsten Reichsgeschäfte verhandelt werden. Wir 
verordnen aber, daß bei obigem folgendes Verfahren eingehalten werde: Es sei 
der freien Wahl der Eltern überlassen, entweder, wenn sie Söhne haben, diese, 
andernfalls die nächsten Verwandten, von denen sie annehmen, daß sie ihnen in 
27 Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. vom Jahre 1356, bearb. v. Fritz, Wolfgang D. 
(MGH, Fontes iuris Germanici antiqui 11, 1972) c. 31, S. 90; die Übersetzung folgt 
Müller, Konrad: Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. 1356 (Quellen zur neueren 
Geschichte 25, Bern 21964), S. 97/99. 
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