Full text: Sprachenpolitik in Grenzregionen (29)

rieht läßt sich ein bewußtes Reagieren des „Bürgerkönigs“ Rudolf auf Bedürf¬ 
nisse und Einfluß bürgerlicher Privilegienempfänger sehen,* 14 andererseits spie¬ 
gelt sich hier aber auch die volkssprachliche Verhandlungspraxis auf Reichsta¬ 
gen, wo nur sehr selten und mit gewissem Risiko für den jeweiligen Sprecher in 
lateinischer Sprache geredet wurde. Gerade für die Zeit Rudolfs von Habsburg 
bezeugen dies die Österreichische (oder: Steirische) Reimchronik und abermals 
Johann von Viktring: Auf dem Reichstag zu Augsburg 1275 sei Bischof Wem- 
hard von Seckau als Sachwalter Ottokars von Böhmen aufgetreten, habe in la¬ 
teinischer Rede König Rudolfs Wahl angefochten und die Königswähler von 
1273 heftig angegriffen.15 „Die ganze Versammlung war schon gereizt durch 
das Lateinisch-Sprechen des Bischofs, und als die Laien, die nicht Latein ver¬ 
standen, erfuhren, was er gesagt, gerieten sie in hellen Zorn über solche uner¬ 
hörte Anmaßung.“16 Rudolf soll die Empörten jedoch haben beruhigen können. 
Des Bischofs Anliegen verwies er dabei an eine Kirchenversammlung. Hier da¬ 
gegen, so argumentierte der König unter anderem, seien Laienfürsten versam¬ 
melt, und hier würden iura regum et leges imperatorum in lingua et eloquenda 
maternali a principibus secularibus verhandelt (tractarentur),17 
Wie aber wurden Sprachprobleme im großen, überregionalen Hansebereich be¬ 
wältigt? Zunächst ist zu beachten, daß der einzelne Hansekaufmann durchgän¬ 
gig wenig Neigung zeigte, sich Fremdsprachenkenntnisse anzueignen, aber 
gleichwohl häufig genug mit sprachlichen Verständigungsschwierigkeiten kon¬ 
frontiert wurde. Die in solchen Situationen erkennbare Grundhaltung blieb 
nüchtern und pragmatisch. Zugute kam ihr, daß unter Lübecks normierendem 
Einfluß das Mittelniederdeutsche weitgehend als Verkehrssprache gelten 
konnte.18 Ob diese allgemeine Anerkennung erzwungen worden war, bleibt of¬ 
fen, dürfte aber recht unwahrscheinlich sein. Im Kaufmannsalltag, zumal des 
östlichen Ostseeraumes, gab es mit dem sogenannten Undeutschen überdies eine 
notdürftige, minimalsprachliche Verständigungsform, die sich auf primitive 
Beherrschung des kaufmännischen Wortschatzes einschließlich simpelster In¬ 
struktionen beschränkte. Für Reval liegen Zeugnisse vor, daß interessierte 
Kaufleute im allgemeinen binnen 17 Wochen (oder 4 Monaten) diese „undeut- 
faktor im Reich,“ in: Ehlers, J. (Hrsg.): Ansätze und Diskontinuität deutscher Nations¬ 
bildung im Mittelalter, Sigmaringen 1989 (Nationes 8), S. 76. 
14 Martin, Thomas: „Das Bild Rudolfs von Habsburg als „Bürgerkönig“ in Chronistik, 
Dichtung und moderner Historiographie“, in: Blätter für deutsche Landes ge schichte 112 
(1976), S. 228. 
15 Österreichische Reimchronik 112, V. 11067ff. (MG Deutsche Chroniken 5,1 S.172 ff.). 
16 Redlich, Oswald: Rudolf von Habsburg, Innsbruck 1903, ND 1965, S. 239. 
^ Johann von Viktring (wie Anm.13) S. 222. 
18 Dollinger, Philippe: Die Hanse, Stuttgart 1966, S.341 ff.; Hoen, Barbara: Deutsches 
Eigenbewußtsein in Lübeck. Zu Fragen spätmittelalterlicher Nationsbildung, Sigma¬ 
ringen 1994 (Histor. Forschungen 19), S. 146 ff. Zu Lübecks Rolle s. ebd. S. 147 Anm. 
780 den Bezug auf Wertungen von Willy Sanders. 
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