Full text: Sprachenpolitik in Grenzregionen

historisch gewachsene andersartige Identität dieser Gemeinschaften, erfordert 
gezielten Schutz und Föderung in der Wahrung ihrer Besonderheiten. 
III. Gebrauch der Sprache in der Öffentlichkeit 
„Ohne Freiheit der Muttersprache ist eine wirkliche Freiheit des Geistes un¬ 
denkbar“ - so formulierte der Schweizer Bundesrat 1937 in einer Denkschrift 
an das Parlament (nach Kägi-Diener 1995, 444). Achtung der eigenen Sprache, 
und damit verbunden: der besonderen Identität der Minderheit ist elementare 
Voraussetzung, will der Staat ein vernünftiges Verhältnis zu dieser Bevölke¬ 
rungsgruppe herstellen, will er von dieser als Regierung „aus dem Volk, durch 
das Volk und für das Volk“ empfunden werden, um an eine bekannte amerika¬ 
nische Formel anzuknüpfen. Es ist dies nicht nur ein Gebot politischer Klug¬ 
heit, sondern eine Frage völkerrechtlicher Mindeststandards, der menschen¬ 
rechtlich garantierten Grundachtung des Staates vor der einzelnen Persönlich¬ 
keit. Die Politik bewegt sich hier in einem Bereich, in dem schon die allgemei¬ 
nen völkerrechtlichen Menschenrechtsgewährleistungen Grundentscheidungen 
treffen, die von den Staaten zu beachten sind. Zwar kennen die Menschen¬ 
rechtspakte keine Bestimmung wie die des Art.l Abs.l unseres Grundgesetzes: 
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Inhaltlich garantieren aber auch die 
völkerrechtlichen Instrumente des Menschenrechtsschutzes die Achtung der per¬ 
sonalen Würde eines jeden Menschen. Achtung vor der Grundwürde des Ein¬ 
zelnen aber heißt: Verzicht auf das gewaltsame Herbeizwingen der sprachlichen 
und kulturellen Gleichförmigkeit, Verzicht auf zwangsweise Assimilation. 
Ohne diese grundlegende Entscheidung für die Hinnahme, wenn nicht Bejahung 
ethnischer Pluralität - und das meint implizit: Verzicht auf die Leitvorstellung 
nationaler Homogenität1 - wird staatliche Herrschaft gegenüber Minderheiten 
unweigerlich einen ,Legitimitätsmakel‘ haben. 
Aus den allgemeinen Menschenrechten in der Auslegung der neueren Praxis der 
Menschenrechtsorgane ergibt sich zunächst folgendes: Der Gebrauch der Min¬ 
derheitensprachen nicht nur im privaten Hausgebrauch, sondern auch in der 
Sphäre gesellschaftlicher Kommunikation, und das heißt auch in der Öffent¬ 
lichkeit, darf von den Staaten nicht verboten werden. So etwas wie das türki¬ 
sche Sprachengesetz von 1983 (inzwischen glücklicherweise wieder aufgeho¬ 
ben), das selbst den privaten Gebrauch des Kurdischen unter Strafe stellte (siehe 
dazu Rumpf 1993, 489 f.), ist ganz unbestreitbar ein Verstoß gegen den Schutz 
der Privat- und Intimsphäre nach Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskon¬ 
vention (zum minderheitenrechtlichen Gehalt des Art.8 EMRK vgl. Hillgru- 
ber/Jestaedt 1993, 42 ff.). Auch gegen Art.27 des Internationalen Paktes über 
bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) verstößt ein derartiger Eingriff in 
die Freiheit der Wahl des privaten Kommunikationsmittels, enthält Art.27 
IPBPR doch eine ausdrückliche Gewährleistung eines Grundbestandes an Min¬ 
derheitenrechten (vgl. zu Art.27 IPBPR insbes. Thornberry 1991, 141 ff., au¬ 
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