nur 16 % fließend (vor allem sind es alte, pensionierte Leute). In Schlesien,
dem Hauptgebiet der aktiven Tätigkeit der deutschen Vereine, bezeichnen sich
Leute öfter als Deutsche oder als Polen. Eine Identifikation mit dem Deutschen
beruht dabei nicht immer auf der Sprache.
Wenn in Schlesien 275.000 Personen in Minderheitenvereinen eingetragen sind,
muß die Gesamtzahl der Minderheit viel größer sein. Das erklärt die oben ge¬
nannten deutschen Schätzungen. Bei den letzten Kommunalwahlen in der
Wojewodschaft Oppeln wurde für die Listen der deutschen Minderheit ein
Drittel aller Stimmen abgegeben. In dieser Wojewodschaft wohnen ungefähr
1.000.000 Menschen, von denen aber nur die Hälfte an den Wahlen teilnahm.
Solchen deutschen Argumenten stehen die polnischen gegenüber, nach denen
deutsche Vereine ihre Mitgliederlisten nicht aktualisieren. Auf den Listen sollen
auch viele Namen von Leuten stehen, die längst nach Deutschland ausgewan¬
dert sind. Viele Polen meinen auch, daß ein Bekenntnis (oder eine Bekehrung)
zum Deutschtum oft rein materielle Gründe habe. Obwohl dieses ökonomische
Argument ständig in der offiziellen Propaganda der Volksrepublik Polen er¬
schien und mißbraucht wurde, glauben noch heute viele in Polen, eine deutsche
Herkunft sei eine genau so günstige Gelegenheit, um einen deutschen, also
westeuropäischen Paß zu bekommen, wie eine vorgetäuschte Ehe. Daraus folgt,
daß wir auf zuverlässigere Angaben noch warten müssen.
Außer in Schlesien wissen die Polen nicht viel über die deutsche Minderheit.
Die Warschauer Presse berichtet ziemlich selten über sie, und wenn schon, dann
werden eher Konfliktsituationen gezeigt als Fälle beispielhafter Zusammenar¬
beit. Der am meisten beschriebene Konflikt brach wegen der Kriegsdenkmäler
aus. Es gibt in Schlesien Soldatendenkmäler aus dem Ersten Weltkrieg. Nicht
alle haben die Polen nach dem Zweiten Weltkrieg zerstören können; manche
wurden in den letzten Jahren wieder aufgebaut oder neu errichtet. Dabei wur¬
den auch neue Gedenktafeln für die Gefallenen des Zweiten Weltkrieges ange¬
bracht. Manchmal gab es auf den Denkmälern nur deutsche Aufschriften, die
deutsche Soldaten Helden nannten, und deutsche Militärsymbole, wie Eisernes
Kreuz und Stahlhelm. Die Ortsnamen waren nur deutsch geschrieben, und zwar
nicht nur in den Städten, die in den vierziger Jahren ganz neue polnische Na¬
men bekamen, sondern auch dort, wo alte slavische Namen in den dreißiger
Jahren amtlich durch neue deutsche ersetzt worden waren. 1992 wurde eine
gemeinsame Kommission der deutschen Minderheit, der polnischen Wojewod¬
schaftsbehörden und des Episkopats gegründet, die 55 der 79 erhaltenen Denk¬
mäler begutachtet hat. Oft reichte es, eine Informationstafel in polnischer Spra¬
che hinzuzufügen oder das Eiserne Kreuz durch ein neutrales christliches zu er¬
setzen, um auch polnische Bewohner zufriedenzustellen. Nach dem Bericht der
Bevollmächtigten des Wojewoden von Oppeln zu Angelegenheiten der deut¬
schen Minderheit war die Zahl der wirklich umstrittenen, d.h. von polnischer
Seite als beleidigend empfundenen Denkmäler nicht höher als 10. Manche
Deutsche (darunter auch ein Abgeordneter im polnischen Parlament, mit dem
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