Vergleicht man abschließend äußere und innere Sprachenpolitik in der Slavia
bezüglich der Besonderheit von Grenzgebieten, so zeigen sich deutliche Unter¬
schiede. Im Falle der äußeren Sprachenpolitik gibt es klar erkennbare sprachli¬
che Grenzgebiete, und zwar auf der Ebene des Kontinuums. Sprachenpolitik
muß deshalb beim Kontinuum, beim täglichen Sprachgebrauch der Bevölke¬
rung ansetzen, und die Maßnahmen sind dementsprechend einschneidend
(Sprachverbote, erzwungener Sprachwechsel, Vertreibung). Die erreichten Er¬
gebnisse sind meist zeimlich dauerhaft: eine Veränderung bedarf wiederum ein¬
schneidender Maßnahmen. Bei der inneren Sprachenpolitik fehlen sprachliche
Grenzen auf der Ebene des Kontinuums. Sprachliche Grenzen werden erst auf
der standardsprachlichen Ebene gesetzt. Ihr Verlauf ist zunächst nicht von
grundlegender Bedeutung für den täglichen Sprachgebrauch der Bevölkerung.
Deshalb sind sprachenpolitische Maßnahmen hier leichter durchführbar; ebenso
leicht können sie aber auch rückgängig gemacht werden. Um die sprachlichen
Grenzen besser zu verankern, werden Maßnahmen der inneren Sprachenpolitik
häufig durch Sprachpolitik unterstützt.69 Durch die zunehmende Bedeutung
von Standardsprachen im sprachlichen Leben werden längerfristig auch die
Grenzen innerhalb des Kontinuums größere Bedeutung erlangen. Die Unter¬
scheidung zwischen inneren und äußeren sprachlichen Grenzen büßt damit an
Bedeutung ein, und die für die Slavia so kennzeichnenden Besonderheiten der
Sprachenpolitik werden nur noch historischen Wert beanspruchen. Auch auf
diesem Gebiet wird, so steht zu vermuten (und zu befürchten), die Slavia auf
den europäischen „mainstream” einschwenken.
69 Auch hier bietet Mazedonien das beste Beispielmaterial. In Ägäis-Mazedonien spielt
äußere Sprachenpolitik die wichtigste Rolle: von griechischer Seite wird der Sprach¬
wechsel mit allen zur Verfügung stehenden sprachenpolitischen Maßnahmen betrieben,
bis hin zu Sprachverboten. Von solchen Zwangsmaßnahmen ist die slavischsprachige
Bevölkerung in allen Formen ihres Sprachgebrauchs empfindlich betroffen. In Vardar-
und Pirin-Mazedonien handelt es sich „nur” um ein Problem der inneren Sprachenpolitik.
Von dem oben dargestellten Hin und Her bezüglich der Überdachung war aber nur ein
Teil des öffenüichen Sprachgebrauchs betroffen (Schule, Ämter, geschriebene Sprache);
in den meisten Fällen blieb für das sogenannte „einfache Volk“ alles beim alten.
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