„Dialecte”, in der Bevorzugung von vier slavischen „Hauptsprachen” (Russisch,
Polnisch, Cechisch, Serbokroatisch) oder in der Förderung einer slavischen
Einheitssprache, sei es eine bereits bestehende Standardsprache (natürlich Rus¬
sisch) oder eine vorgeschlagene bzw. noch zu schaffende aposteriorische Plan¬
sprache.26 Letztlich handelt es sich dabei um Fragen der inneren Sprachenpoli¬
tik, doch ist sie nur aus Überlegungen der äußeren Sprachenpolitik verständ¬
lich.
Zu der wesentlich defensiven Grundeinstellung gibt es, wie erwähnt, zwei Aus¬
nahmen. Die eine betrifft das Grenzgebiet gegen Westen nach dem Ende des
zweiten Weltkriegs. Hier wurde die Grenze des slavischen sprachlichen Konti¬
nuums in beträchtlichem Maße gegen Westen vorgeschoben, und zwar durch
Vertreibung der sprachtragenden Bevölkerung. Dadurch wurden die sprachli¬
chen Grenzen den z.T. neu gezogenen politischen Grenzen angeglichen. Dies ist
für etatistische Sprachenpolitik, wie erwähnt, kennzeichnend; ungewöhnlich
und wohl nur aus der Zeit heraus erklärbar ist der Weg, auf dem dieses Ziel er¬
reicht wurde.
Die zweite Ausnahme betrifft das Russische und damit die Grenze des slavi¬
schen sprachlichen Kontinuums gegen Südosten und Osten (in geringerem
Maße auch gegen Norden und sogar Nordwesten). Im vorrevolutionären Ru߬
land und in der UdSSR lassen sich durchgehend sprachenpolitische Bestrebun¬
gen feststellen, den Geltungsbereich der russischen Standardsprache auszuwei¬
ten und damit auch die Grenzen des slavischen sprachlichen Kontinuums vorzu¬
schieben. Dies geschah zunächst in Rußland über die Amtssprache und die
Schulen, aber auch sonst in mannigfachen Formen (insbesondere auch durch
die orthodoxe Kirche).27 In der UdSSR wurden diese Ansätze nach einer kur¬
zen Zeit der Zurückhaltung im Zusammenhang mit der Vorstellung von der
Durchsetzung des Sozialismus in einem Land wieder aufgegriffen und erheb¬
lich verstärkt.28 Angestrebt wurde die Zweisprachigkeit der nicht russischspra¬
26 Neben frühen Vorformen (v.a. ein Vorschlag von Juraj KriZanic aus dem 17. Jahrhundert
ist hier zu erwähnen) wurden solche Plansprachen hauptsächlich für die slavischsprachige
Bevölkerung Österreich-Ungams entwickelt; sie sind auf dem Hintergrund des Austro-
slavismus zu sehen (vgl. zu solchen Entwürfen Back 1990 und 1992).
27 Eine wichtige Rolle spielte damals schon die Schrift. Über die Verwendung des kyrilli¬
schen Alphabets bei der Verschriftlichung der betreffenden Sprachen sollte der Zugang
zur russischen Standardsprache erleichtert werden. (Gleichzeitig wurde dadurch versucht,
der Gefahr einer islamischen Bewegung innerhalb Rußlands entgegenzutreten.) Vgl. dazu
Baldauf 1993, 3-52.
28 Die Sprachenpolitik in der UdSSR behandelt ausführlich Lewis 1972; vgl. zur wech¬
selvollen Geschichte vor allem 67 ff. (Lewis setzt vier Phasen an, Bochmann 1986, 93 f.,
dagegen nur zwei.)
284