Sie waren Franzosen, wenn auch Franzosen „deutscher Zunge“, was sie bleiben
wollten,* 11 Nach 1860 verstummt die Diskussion wieder für fast 10 Jahre.
Eine Ausnahme macht freilich die 1868 im angesehenen Kröner-Verlag in
Stuttgart erschienene revisionistische Schrift von Wolfgang Menzel Unsere
Grenzen, die anscheinend meinungsbildend auf ein gebildetes und politisch in¬
teressiertes Publikum gewirkt hat.12 Sie enthält einen vorwiegend historisch
orientierten Beweis der alten Rechte der ,Deutschen1 an Elsaß und Lothringen.
Jedoch wird auch der Sprachgrenze, die beschrieben wird (S. 12f.) eine legiti¬
mierende Kraft zugestanden, ja sie soll - so fordert der Autor - ins Lehrpro¬
gramm von Schulen und Universitäten integriert werden. In Anlehnung an den
älteren Friedrich Giehne wird gefordert, die Verwelschung der deutschen Orts¬
namen rückgängig zu machen und diese im wissenschaftlichen Gebrauch
deutsch zu schreiben. Aber gerade Menzel hat auch zu Recht festgestellt, daß es
eine öffentliche Diskussion um Elsaß-Lothringen, um seine Nationalität und
Sprache, am Vorabend des Deutsch-Französischen Krieges eigentlich nicht
gab.13
2. Die Forderungen des Nationalitätsprinzips
„In der Anerkennung des Nationalitätsprincips liegt der Keim zu einem uner¬
meßlichen Fortschritt in der Entwicklung der Völker“. Mit diesem optimistisch¬
hochgespannten Wort beginnt 1869 das einflußreiche Buch Der Deutschen
zur Kenntnis der Gegenwart], Hildburghausen (Bibliographisches Institut) 1870, war mir
nicht erreichbar.
11 Vgl. die Ansichten von Johann Wilhelm Baum (1809-1878), Professor am Pro¬
testantischen Seminar zu Straßburg und Prediger an St. Thomas; über ihn unterrichtet
Baum, Mathilde: J.W. Baum. Ein protestantisches Charakterbild aus dem Elsaß, 1809-
1878, Straßburg, 2. Aufl. 1902.
12 Menzel, Wolfgang: Unsere Grenzen, Stuttgart/Leipzig (Verlag von Alfred Kröner) 1868.
In dem von mir benutzten Exemplar findet sich als gedrucktes Formular (H. Neubürger’s
Buchdruckerei), eingeklebt auf dem Spiegel der Vorderseite des Bucheinbandes, das
Ausleihverzeichnis eines Lesevereins einer Residenzstadt, die zeigt, daß alle 24 Mitglieder
(Kammerherren, OberhofmarschäUe, Ministerialräte, Hofräte, Oberlandesgerichtsassesso¬
ren, Oberforsträte, Geheime Bauräte, Kreisgerichtsräte, Regierungsräte, Stiftssekretäre,
Archidiakone, Cantoren, Commerzienräte, Bankdirektoren, Doktoren, Lehrer, Buchhänd¬
ler, Kaufleute u.a.) das Buch zwischen März ’68 und Januar ’69 lasen.
13 Zu Recht weist allerdings Pfister, Charles: La limite de la langue française et de la langue
allemande en Alsace-Lorraine, Paris/Nancy 1890, S. 6f. auf die wachsende politische
Bedeutung der 1843 (Kassel) mit der Sprachkarte von Deutschland, entworfen und
erläutert von Dr. Karl Bemhardi begonnenen und hauptsächlich von Geographen wie Dr.
Nabert, R. Böckh und H. Kiepert getragenen, zunehmend empirisch verfeinerten Kar¬
tierung der deutsch-französischen Sprachgrenze hin.
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