Zwei Vorträge befaßten sich mit dem Paradebeispiel eines (vielsprachigen)
Vielvölkerstaats und seinem Nachfolger, Österreich-Ungarn bzw. der Republik
Österreich. Die Ausführungen zu „Sprache und Nation in den böhmischen Län¬
dern (1848-1938)“ von Friedrich E. Prinz (München) galten vor allem dem
„Mährischen Ausgleich“. Um die Spannungen zwischen der tschechischen und
der deutschen Bevölkerung zu beseitigen, wurde das Prinzip der Personalauto¬
nomie eingeführt, gemäß welchem die Bevölkerung sich in gesonderten Natio-
nalkatastem eintragen konnte, was Konsequenzen insbesondere für das Schul¬
wesen hatte und die fruchtlose Debatte über Sprachgrenzen entschärfte. Eine
Übersicht über die heutige Situation der Minderheiten in Österreich gab Peter
Wiesinger (Wien) in seinem Beitrag „Zur Sprachsituation und Sprachpolitik in
den Minderheitengebieten Österreichs“. Die sechs anerkannten Minderheiten
genießen weitgehenden Schutz ihrer kulturellen und sprachlichen Besonderhei¬
ten. Obwohl sprachenpolitisch geschützt und sogar gefördert, befinden sich
aber auch hier die Minderheitensprachen auf dem Rückzug, und zwar insbeson¬
dere bei der jüngeren Generation.
Schließlich behandelten zwei Vorträge die Situation einer Sprache und ihrer
Literatur außerhalb des zusammenhängenden Sprachgebiets, und zwar am Bei¬
spiel des Deutschen. Lutz Götze (Saarbrücken) sprach „Zur Rolle der deutschen
Sprache in den GUS-Staaten, der tschechischen Republik und Ungarn“. In die¬
sen Gebieten führte der Zusammenbruch der sozialistischen Staatengemein¬
schaft zu einer verstärkten Nachfrage nach Deutschunterricht. Diese Nachfrage
sollte nach Möglichkeit befriedigt werden. Um aber nicht den Eindruck zu er¬
wecken, die Kulturpolitik vergangener Zeiten würde hier wieder aufgenom¬
men, schlug Götze entsprechend modifizierte Grundzüge für eine zukünftige
Förderung der deutschen Sprache vor. Der letzte Beitrag, eingereicht von Alex¬
ander Ritter (Hamburg), gilt der Literatur: „Kulturengrenze und Textge¬
schichte: Zu den Bedingungen und Problemen literarhistorischer Erfassung
deutschsprachiger Literatur des Auslands“. Er macht die spezifischen Probleme
deutlich, welche die Beschäftigung mit der Literatur deutschsprachiger Minder¬
heiten aufwirft. Diese Literatur ist in ein wesentlich komplexeres kulturelles
Beziehungsgeflecht eingebunden als die „normale“ deutsche Literatur; insbe¬
sondere sind die Besonderheiten der jeweiligen „Herbergskultur“ zu berück¬
sichtigen. Die Geschichtsschreibung der Literatur deutschsprachiger Minderhei¬
ten muß deshalb nicht nur den allgemeinen Forderungen an Literaturgeschichts¬
schreibung genügen, sondern sie hat auch die zusätzlich wirkenden Faktoren in
Rechnung zu stellen.
Insgesamt konnte das Thema „Sprachenpolitik in Grenzregionen“ im Rahmen
des Symposiums auch nicht annähernd erschöpfend abgehandelt werden. Das
Symposium vermochte aber die Vielfalt der in diesem Zusammenhang zu be¬
rücksichtigenden Fragestellungen zu verdeutlichen und einige Aspekte exem¬
plarisch zu vertiefen.
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