Entwicklung bestimmter wirtschaftlicher, sozialer oder militärischer Faktoren. In
dem Maße, in dem die Besiedlung auch der staatlichen Randzonen voranschritt
und der wirtschaftliche Wert von Grund und Boden stieg, verschwanden räumliche
Elemente der Landgrenze i. e. S.. Es lag auf der Hand, daß Grenzwall, Grenz¬
mauer oder Grenzgraben wesentlich platzsparender waren als etwa ein undurch¬
dringlicher Grenzwald. Ihn aber als Grenze im Rechtssinn entbehrlich zu machen,
bedurfte in aller Regel einer Absprache mit dem Nachbarstaat bzw. dem Inhaber
der Hoheitsgewalt in der Nachbarregion.
Damit tritt eine verbreitete Rechtsform der Feststellung des Grenzverlaufes in den
Mittelpunkt: die vertragliche Festlegung, Bestätigung oder auch nur Klärung des
Grenzverlaufs. Im Idealfall wird zur Vermeidung späterer Konflikte dem Text des
Vertrages eine Landkarte beigefugt, die ebenso wie der reine Vertragstext von bei¬
den Parteien unterschrieben wird. Der bloße Hinweis auf natürliche Gegebenheiten
würde nicht genügen, da auch diese, wie wir sehen werden, rechtliche Fußangeln
aufweisen.
Geht es darum, eine Grenze zu ziehen, so verfügt die moderne Technik über aus¬
reichende Hilfsmittel, um durch Grenzvermarkung und Grenzvermessung im
Rahmen einer meist eigens gebildeten Grenzkommission mögliche Unklarheiten
zu vermeiden. Schwieriger ist es dagegen, den Verlauf historisch entstandener
Grenzen zu beschreiben bzw. zu ermitteln. Denn hier fehlt es nicht selten an
einem ausdrücklich formulierten Grenzvertrag, vielmehr sind historische
Dokumente ergänzender Art maßgeblich. Sie bestätigen in vielen Fällen nicht
einmal den Grenzverlauf selbst, sondern lediglich die faktische Ausdehnung des
staatlichen Besitzstandes.
Dies kann dadurch geschehen, daß Belege für die längerfristige (historische) Dul¬
dung des Grenzverlaufs durch den nunmehr protestierenden Nachbarstaat oder für
einen historisch längeren unbestrittenen Besitzstand beigebracht werden. Sie ma¬
chen deutlich, daß neben der vertraglichen Festlegung das sogenannte Effektivi¬
tätsprinzip eine besondere Rolle im geltenden Völkerrecht spielt14. Ohne Mühe ist
vorstellbar, daß der Streit über die vorgelegten Belege nicht selten die internatio¬
nale Gerichtsbarkeit beschäftigte oder auch besondere Schiedsgerichte zur Fest¬
stellung der Grenzlinie zwischen zwei Staaten eingerichtet werden mußten, wie
vor kurzem im Taba-Fall über den Grenzverlauf zwischen Ägypten und Israel15.
Hier ging es um einen landschaftlich reizvollen Küstenstreifen am Golf von
Akaba, auf dem sich ein ansehnliches Hotel nebst Badestrand befinden. Dieser erst
14 Vgl. Verdross/Simma, a.a.O,, § 69; Krüger, "Das Prinzip der Effektivität oder: über die besondere
Wirklichkeitsnähe des Völkerrechts", in: Festschrift f. Spiropoulos, 1957, S. 265 ff; Fiedler, Das
Kontinuitätsproblem im Völkerrecht, 1978, S. 59, 70, 122 f.
15 Vgl. Lapidoth, "Taba Arbitration", in: Bernhardt (ed.), Encyclopedia of Public International Law
(EPIL), Inst. 12 (1990), S. 365 ff; Raafat, "The Taba Case", in: Revue Egyptienne de Droit
International 1983, S. 1 ff; Bowett,"The Taba Award of 29 September 1988", in: Israel Law Review
1989, S. 429 ff; Lauterpacht, "The Taba Case: Some Recollections and Reflections", in: Israel Law
Review 1989, S. 443 ff.
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