aufmerksam machten52. Besonders in vergleichenden Untersuchungen wurde dar¬
auf hingewiesen, daß der Ausbau der Kompetenzen der Stadtverwaltungen die
Grundlage für den Aufschwung zahlreicher Städte in Deutschland gebildet habe,
während der relative Entwicklungsrückstand der französischen Städte mit der
staatlichen Bevormundung begründet wurde. Zu einem Wortführer der französi¬
schen Reformbewegung wurde dabei Georges Hottenger, der aus Nancy stammte
und immer wieder auf die Erfolge der Stadtentwicklung in Deutschland verwies53.
Gerade auch der Hinweis auf die in den vergangenen Jahrzehnten vergleichsweise
chaotisch verlaufene Vergrößerung von Nancy diente dabei als Beweis für die
Rückständigkeit der französischen Gesetzgebung, womit wiederum die Einwir¬
kungskraft nationaler Faktoren auf die Urbanisierung belegt war54.
Der Kampf um Kontinuität oder Assimilation der Kommunalverfassung nach
1918
Nach der Eingliederung der reichsländischen Städte in den französischen Staats¬
verband stellte sich wie 1871 das Problem der Anpassung der Rechtsordnung und
der Verwaltungsorganisation an die Normen und Strukturen, die für die anderen
Städte in Frankreich verbindlich waren. Allerdings hatten die Städte in den Jahr¬
zehnten vor dem Ersten Weltkrieg ein erhebliches Erfahrungswissen in der Ver¬
waltung ihrer Stadt angesammelt und sich auch ein großes Repertoire an Interven¬
tionsmöglichkeiten gesichert, auf das sie nun nicht verzichten wollten. Aufgrund
der rasanten Entfaltung kommunaler Aufgaben und Aktivitäten waren also nach
1918 die Integrationsprobleme deutlich größer als 1871.
Einerseits gab es französische Politiker, die ganz in der Tradition des zentralisti¬
schen Herrschaftsgefüges in Frankreich durch eine konsequente Assimilation
möglichst schnell alle Spuren der deutschen, als Fremdherrschaft bezeichneten
Ära beseitigen wollten55. Andererseits aber befürworteten einflußreiche Politiker
eine längere Übergangsphase und die Möglichkeit, einzelne Elemente des lokalen
Rechts und der Verwaltungsstruktur beizubehalten. Ein Vertreter dieser Richtung
war z.B. Millerand, der Generalkommissar Frankreichs für Elsaß-Lothringen, der
1919 für einen sorgsam abwägenden, wechselseitigen Lernprozeß zwischen dem
ehemaligen Reichsland und dem übrigen Frankreich plädierte56. Dabei wurde
52 Letoumeux, L'action sociale, erwähnt mehrfach Straßburg. Ähnlich Cambon, Les derniers progrès.
53 Hottenger, Nancy, beschreibt die verschiedenen Instrumente, über die die deutschen Städte zur Steuerung
ihrer Stadtentwicklung verfugen: "La véritable patrie, la terre d'élection de la technique urbaine, ce n'est
pas l'Angleterre, c'est l'Allemagne" (S. 10f.). Zur Bedeutung von Nancy fur die Transmission von
deutschen Urbanisierungsstrategien s. Vaxélaire, L'urbanisme.
54 Zur Stadtentwicklung von Nancy s. Collot, Les politiques, S. 1-128.
55 Wittenbrock, Bauordnungen, S. 273-276. Cerfberr, Ce que nous avons trouvé, S. 132, schrieb: "Les
Alsaciens et les Lorrains sont unanimement heureux d'être débarrassés du joug allemand qui n'a cessé de
se montrer tyrannique et, à tous les égards, antipathique."
56 "Nous venons de reprendre nos chères provinces d’Alsace et de Lorraine; depuis huit mois, j'ai l'honneur
d'être à leur tête, de les administrer; je vous assure que, si elles ont beaucoup à puiser chez nous, nous
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