Weniger das Vorhandensein einer Grenze, denn eher die räumliche Entfernung
scheint hier ausschlaggebender Faktor zu sein. Die Lageverschiebungen bei den
Deutschen weisen für die inländischen Orte sowie bei Forbach und Sarreguemines
eine südwestliche, die übrigen ausländischen Orte eine östliche bis südöstliche
Orientierung auf. Metz und Thionville sind fast parallel nach Südosten verscho¬
ben. Bei den Franzosen dominiert bis auf Thionville und die Ausnahme St. Wen¬
del eindeutig eine Breitenverschiebung westöstlicher bzw. ostwestlicher Richtung
ohne ein eindeutiges Muster. Bis auf Thionville und Metz (mit je 25-35 km Lage¬
verschiebung und relativ geringer Zustimmung von 15,7% bzw. 22,3 %) liegen für
die Deutschen die Entfemungsverschiebungen im Bereich von 5-15 km, die
Zustimmung bei den saarländischen Orten sogar über 35 %. Der Gruppenkonsens
in der französischen Teilpopulation ist insgesamt wesentlich geringer; er bewegt
sich nur zwischen 27% und 32% bei den inländischen und zwischen 22% und
26% bei den ausländischen Orten. Die Lageverschiebung beträgt hier zwischen 5
und 15 km bei Saarbrücken, Thionville, Saarlouis und Forbach, 15-25 bei Merzig,
St. Avold und Sarreguemines, sowie 25-35 bei Neunkirchen und wie zu erwarten
bei St. Wendel. Im Gruppenvergleich zwischen Deutschen und Franzosen - dies
betrifft jeweils sowohl die inländischen als auch die ausländischen Orte (bei F
ohne St. Wendel) - findet sich ein Verhältnis der Lagefehleinschätzungen von
1:4,4 zugunsten der Deutschen.
Eine weitere Aufgabe bestand für die Befragten darin, die Entfernungen zwischen
dem jeweiligen Studienort und diesen 10 Städten metrisch einzuschätzen.
Die Entfemungsevaluation zu den ausländischen Orten weist bei den Deutschen
im Vergleich zu den Franzosen eine größere Diskrepanz und Unsicherheit
gegenüber den jeweils inländischen auf, wie höhere Standardabweichungen
belegen (vgl. Abb. 8). Mit Ausnahme des den Deutschen offensichtlich kaum
bekannten Thionville «Verschätzen beide Gruppen alle Orte in ihrer Entfernung.
Die auf einer experimentellen Untersuchung (vgl. Stapf 1968) basierende Hypo¬
these einer wachsenden Entfemungsüberschätzung mit größer werdender realer
Distanz zwischen zwei Orten, kann hier nicht bestätigt werden, wie die Trendbe¬
rechnung in Abb. 9 belegt. Dies mag bedingt sein durch die evtl, nicht angemes¬
sene Übertragung von Ergebnissen einer Laboruntersuchung auf die räumliche
Realität (externe Validität) oder durch den allzu großen zeitlichen Abstand zu
dieser Felduntersuchung. So kann beispielsweise das zwischenzeitlich gestiegene
Reiseverhalten der Bevölkerung zu einer veränderten Raumkenntnis führen. Viel¬
mehr werden in der vorliegenden Befragung Entfernungen im Nahbereich «Ver¬
schätzt, mit zunehmender realer Distanz wnierschätzt. Die Deutschen nehmen da¬
bei im Nah- und im Fembereich ausgeprägtere Schätzfehler vor.
In der Literatur wird auf eine enge Beziehung zwischen Entfernungsevaluation
und emotionaler Anteilnahme am Geschehen in ausgewählten Orten verwiesen
(Ekman & Bratfisch 1965; Bratfisch 1969). Gemessen wurde diese Anteilnahme
hier am Grad der Betroffenheit bei einem angenommenen schweren Unglück in
diesen 10 Städten (vgl. Abb. 10). Interessanterweise ist das Ausmaß der
Betroffenheit bei den jeweils inländischen Orten bei den Deutschen größer, auch
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