Relikt- und Lehnwörter setzen einen längeren Sprachkontakt, der ein Ausdruck der
Sprachverhältnisse in einer Mischzone ist, voraus. Reliktwörter werden an Ort und
Stelle aus dem Munde der anderssprachigen Bevölkerung - aus welchen
sprachpsychologischen Gründen auch immer - übernommen und in die Mundart,
evtl, auch in die Umgangssprache, selten aber in die Schriftsprache integriert. Die
Schriftsprache bietet hier kein zuverlässiges Bild von den Sprachkontaktergebnissen;
so sind ins Neuhochdeutsche - wie ein Blick in Kluge-Seebolds "Etymologisches
Wörterbuch der deutschen Sprache" lehrt - nur wenige Lehnwörter aus dem
Slawischen gelangt, viel mehr aber in die Lokalmundarten, vergleichbar den Orts-,
Flur- und auch Personennamen (JedliCka 1978). Es liegt auf der Hand, daß auch
historisch gesehen die Sprachsituation von besonderer Relevanz ist, will man die
ethnischen Verhältnisse realistisch beurteilen. Neben die zahlreichen Toponyme, die
aus dem Altsorbischen in die deutsche Sprache des Daleminzegaues, ins Meißnische
gelangten, traten einzelne Appellative aus dem Sorbischen auf, die in die ostmittel¬
deutsche Kanzleisprache gelangten (vgl. u.a. Eichler 1965), z.B. das latinisierte
Suppania, das auf altsorb. iupan 'Dorfschulze' beruht und als Saupe ins Deutsche
gelangte, demnach ziemlich früh, denn das Wort zeigt die nhd. Diphthongierung
von [ü] > [au]. Mit dem Suffix -le ist davon siipanie, dann Saupanei, latinisiert
Suppania, gebildet worden. Aus altsorb. vit'az etwa ’zu Reitdiensten verpflichteter
Lehensmann’, 1181 withasii (lateinischer Nominativ Plural), wurde die Personen¬
bezeichnung Weitsessen entlehnt; sie zeigt einerseits die im 13. Jahrhundert erfolgte
Weiterentwicklung des erweichten altsorbischen i zu i (obersorb. wicaz), anderer¬
seits ebenfalls die nhd. Diphthongierung ([i] > [ei]. Beide Wörter finden sich in
ostmitteldeutschen Zinsverzeichnissen ab dem 14. Jahrhundert, so z.B. im
"Geschoß- und Zins Verzeichnis des Amtes Meißen" vom Jahre 1543 (Beschomer
1933). Nur in einem zweisprachigen Milieu konnten die Wörter dieses wichtigen
sozialgeschichtlichen Inhaltes von einer Sprache in die andere gelangen.
Erfolgt die Untersuchung und Darstellung der Sprachverhältnisse, z.B. der
Eigennamen, nur nach ihren Arten (wie der Ortsnamen, Flurnamen, Personennamen
usw.), dann entsteht noch nicht das von uns angestrebte Bild der Sprachgrenzzone.
Doch die bisher schon - so in den 37 Bänden der Reihe "Deutsch-Slawische
Forschungen zur Namenkunde und Siedlungsgeschichte" (1956ff.) - vorliegenden
genauen Analysen der phonologischen und morphematischen Struktur geben uns
wichtige Hinweise auf den Anteil der Sprachen und scheiden scharf 1. altsorbische
und evtl, spätere ober- und niedersorbische Lautveränderungen von deutschen
(genauer: mitteldeutschen, evtl, auch niederdeutschen) und der Überformung des
slawischen Basisbestandes durch das Deutsche, also der "Integration" im weitesten
Sinne; 2. lassen sie neben dem slawischen und deutschen Bestand deutlich einen
Bereich erkennen, an dem beide Sprachen Anteil hatten - man hat dafür vielfach
den nicht allzu glücklichen Terminus "Mischnamen" gebraucht und darunter ver¬
standen: einerseits ON vom Typ Borsdorf 'Ort des Bof (slawischer PN), an¬
dererseits Arntitz aus altsorb. Amoltici 'Siedler des Arnolf; doch auch andere
Bildungen (so deappellativische) wurden hier einbezogen; doch sollte man sie eher
beiseite lassen (s. auch Naumann 1964). Oft liegen die Siedlungen, die einen
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