vorwiegend wohl keltisch-romanischer Zweisprachigkeit10 11. Dies belegen im Land¬
ecker Raum Namen wie Angedair oder Perjenn mit kelt. *ankato 'Haken' und
briva 'Brücke', bei Innsbruck Axams aus kelt. *oukso 'hoch' und Ampaß aus kelt.
*ambe 'Bach', im Unterland Ebbs zu kelt. *epo- 'Roß' neben späten provinzrömi¬
schen Prädien auf -ACUM wie Matzen, älter Masciacum, Zinzagen (Brixen), dann
Luttach und Tob lach, aber auch Vintl, ladinisch Vandoies < kelt. vindoialo
'Weißenfeld'. Taisten (< Deceto) oder Innichen im Pustertal11. Das Keltische, bei I.
Hopfner weit überschätzt und dann zugunsten eines vagen Illyrischen verdrängt,
muß von Helvetien und noch stärker von Norikum her vorgedrungen sein, geht in
Tirol daher kaum auf Cenomanen aus der Poebene zurück.
Die Tabula Peutingeriana (Anfang 4. Jh.), der Reisebericht von Venantius For-
tunatus (565) und die kulturelle Kontinuität legen nahe, daß die (vor)römischen
Siedlungen und Einrichtungen im wesentlichen gehalten wurden, wenn wir vom
verheerten und teilweise entvölkerten Pustertal absehen. Für einen Landesausbau
konnte damals infolge der Kriegswirren und der eindeutig zurückgehenden Bevöl¬
kerungszahl kaum Bedarf bestehen. Von einem allgemeinen Abzug der Romanen,
wie er lange aus der Severinsvita des Eugipp herausgelesen wurde, kann in dieser
Form keine Rede sein12, wohl aber von einer Flucht der führenden kirchlichen
Würdenträger, der Adeligen und Großgrundbesitzer (die -ANUM im Burggrafen¬
amt zu belegen scheint, was dort die frühe Präsenz der Baiuwaren erklären könn¬
te). Deren Güter beanspruchten die eindringenden Germanen sicher zuerst. Gegen
eine breitere Fluchtbewegung von Heimischen, die über Haus und Hof hinaus
kaum eigenes Vermögen besaßen, sprechen vor allem Namen- und Siedlungskon¬
tinuität13, Bodennutzung und Besiedlung in den Hochtälern sowie Eigenheiten des
zentralladinischen Namenschatzes, desgleichen die Weiterentwicklung in Kultur
und Recht.
10 Dazu ausführlich K. Finsterwalder, "Romanische Vulgärsprache in Rätien und Norikum von der
römischen Kaiserzeit bis zur Karolingerepoche", in: Tir. ONkde., Bd. I, S. 387-418; vgl. dazu auch
Verf. im Lexikon romanistischer Linguistik, Bd. 3, S. 646 ff.
11 Vgl. K. Finsterwalder in: Der Schiern 39 (1965) S. 451 ff. und Zeitschrift für Ortsnamenforschung 17
(1942), S. 280 ff.
12 Diese hervorragende direkte Quelle aus dem Anfang des 6. Jhts. wurde offenbar doch etwas einseitig
interpretiert, und man übersah die Stilisierung nach dem biblischen Exodus. Auch wenn die Oberschicht
der Romanen zum Großteil abgezogen sein sollte, verblieben in nicht wenigen Gebieten noch immer
viele Romanen in unseren Alpenprovinzen, wie vielfach Ortsnamen, Sprachrelikte und Brauchtum in
nachweisbarer Kontinuität erweisen. Dazu F. Lotter, "Die historischen Daten zur Endphase römischer
Präsenz in Ufemorikum", in: Vorträge und Forschungen 25, 1979, S. 27-90 und R. Zinnhobler, Der
heilige Severin, Linz 1982.
13 Vgl. H. Bachmann,"Erl. Zur Geschichte seiner Besiedlung", in: Veröftf. des Landesmuseums
Ferdinandeum Innsbruck 31 (1951), S. 1-19; K. Finsterwalder, "Uber Tauemnamen", in: Zeitschrift für
Ortsnamenforschung 5 (1929), S. 228-242 sowie K. Odwarka - H.D. Pohl, in: österreichische
Namenforschung 14 (1986), S. 83 ff; C. Battisti, Dizionario toponomastico atesino, Firenze 1936 ff
und Popoli e lingue nell'Alto Adige, Firenze 1931.
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