Auf einen noch späteren Zeitpunkt der Integration einzelner Regionen weist die
partielle Erhaltung - beispielhaft in Nr. 9 und 10 - des romanischen Paenultimaak-
zents (auf der vorletzten Silbe) statt des deutschen Initialakzents (auf der ersten
Silbe): also Marzöll statt *Märzoll, Torren statt *T6rren (vgl. auch Nr. 4-5). Ingo
Reiffenstein rechnet des Akzentes wegen gar mit einer Kontinuität Salzburger
Romanentums bis ins elfte Jahrhundert.17
Wer sich nun die Karte 2 ansieht, welche die Eindeutschungs- bzw. Germanisie-
rungsmerkmale vordeutscher Ortsnamen kartiert, wird feststellen, daß sich die
quasi lineare Sprachgrenze der Frühzeit (Karte 1) sukzessive seit dem 778. Jahr¬
hundert auflöst in integrierte und nicht integrierte Kleinlandschaften oder Sprach¬
inseln, bevor sich die völlige Germanisierung durchsetzt, wobei die letzte Stufe of¬
fenbar von den Ortsnamen mit erhaltenem Akzent repräsentiert wird. Wir stellen
also für die Salzburger Romania eine Abfolge von relativ scharf ausgeprägter 1 i n
earer Grenze hin zu einem Durchmischungsraum fest18.
Bei der Erklärung der Linearität von Grenzen rekurriert man gern auf eine
"natürliche" Grenze, hier den gewissermaßen "natürlichen Riegel vom Untersberg
über das Salzburger Moos (ein Sumpfgebiet) und die Salzburger Stadtberge bis
zum Gaisberg und den östlichen Waldgebieten"19. Ob diese Erklärung wirklich
ausreicht, oder ob nicht auch mit einer bereits vorgängigen spätantiken Ausräu¬
mung des Salzburger Vorlandes oder gar mit vertraglichen Abmachungen zu
rechnen ist, wird der Philologe nicht zu entscheiden wagen, sondern ist hier auf
Hilfe der Nachbarwissenschaften, der Archäologie und der Geschichte angewiesen.
der Saargegend 34/35 (1986/87), S. 30, 121, 130; Haubrichs (wie Anm 15), S. 1390f. Eine Sammlung
der Frühbelege mit Umkehrschreibungen <f> für <v> ist ein Desiderat. Einer der frühesten Belege
scheint in 735/37 in figo Delemonze < *in vico D. aus einer Murbacher Urkunde vorzuliegen. Vgl.
Monika Buchmüller-Pfaff, "Namen im Grenzland - Methoden, Aspekte und Zielsetzung in der Erfor¬
schung der lothringisch-saarländischen Toponomastik", in: Francia 18,1 (1991), S. 185f. Anm. 65. Für
den bairischen Raum vgl. auch Wiesinger, Kontinuitäten (wie Anm. 9), S. 298 (mit Erstbeleg für ±
790).
17.
Die chronologische Dimension der Akzentfrage würde eine umfassende Untersuchung fordern. Vgl. auch
Kleiber (wie Anm 16) S. 174ff.
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Natürlich gab es auch nördlich der Grenze kleine romanische Sprachinseln, wie Walchen-Namen und
romanische Lehnnamen beweisen, und einzelne romanische Gruppen, wie einzelne Personennamen und
die urkundliche Erwähnung von Romani zeigen.
19 Reiffenstein (wie Anm. 12), S. 52.
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