Full text: Zwischen Saar und Mosel

Alfons Becker 
PÄPSTLICHE GERICHTSURKUNDEN UND PROZESSVERFAHREN ZUR ZEIT 
URBANS II. (1088-1099) 
„Verrechtlichung“ gilt als einer der charakteristischen Aspekte der hochmittelalter¬ 
lichen Kirchenreform seit etwa der Mitte des 11. Jahrhunderts. „Verrechtlichung“ 
deutet nicht nur Verschiebungen in dem besonderen Verhältnis von Theologie und 
Kanonistik an, verweist nicht nur auf die zunehmende Bedeutung des kanonischen 
Rechts für die Regierung der Kirche und Christenheit durch die Sedes Apostolica. 
„Verrechtlichung“ zeigt sich nicht zuletzt ganz alltäglich darin, daß nun immer 
öfter die verschiedensten Rechtsfragen und Streitigkeiten - und dabei nicht etwa 
nur die maiores causae1 - der europäischen Kirchen vor den Papst gebracht oder 
auch von den Päpsten selbst vor ihr Gericht gezogen und dort entschieden wurden. 
Diese Entwicklung hat ihre Spuren vor allem in der urkundlichen Überlieferung 
hinterlassen, in Gerichtsurkunden oder Judikaten, Mandaten, Vertragsurkunden sich 
einigender Prozeßparteien, in Privilegien, auch in erzählenden Quellen, besonders 
in Prozeßberichten. Die Gerichtsurkunden des 11. Jahrhunderts haben die histori¬ 
sche Forschung und speziell die Diplomatik nicht sonderlich interessiert2, zumal sie 
formal unscheinbar und wenig ausgeprägt waren, ihrer Zahl nach unbedeutend 
erschienen und inhaltlich zumeist historisch nur wenig belangvolle, eher geringfü¬ 
gige Angelegenheiten betrafen. Doch bringt der gesamte, im Zusammenhang mit 
Rechtsstreit, Prozeßverfahren und Gerichtsurteil stehende Überlieferungskomplex 
einschließlich der päpstlichen Gerichtsurkunden (Judikate und Judikatprivilegien), 
von denen übrigens für die Zeit Urbans II. mehr überliefert und erschließbar sind 
als gewöhnlich angenommen wird, vielfältige und keineswegs uninteressante 
historische Erkenntnisse. Dies gilt vielleicht weniger für die Diplomatik im engeren 
technischen Sinne, obwohl schon die formale Definierung einer Urkunde als 
Judikat oder Judikatprivileg für die Beurteilung der Echtheit wie auch des 
Rechtsinhalts des Dokuments von Nutzen sein kann. Darüber hinaus ergeben sich, 
wenn auch historische Umstände und Abläufe, Konfliktursachen und Urteilsfolgen, 
1 Gregor VII., Reg. II, 55a, Dictatus Papae XXI (ed. E. Caspar, MGH Epp. Sei. II, 1 (Berlin 1925), 
S. 206. 
2 Vgl. die knappen Bemerkungen etwa bei H. BRESSLAU, Handbuch der Urkundenlehre für Deutsch¬ 
land und Italien Bd. 1, Berlin 1958, S. 78 und Bd. 2, S. 52, 80; J. V. PFLUGK-HARTTUNG, Die Bullen 
der Päpste, Gotha 1901 (ND Hildesheim 1976), S. 30 f.; Th. Hirschfeld, Das Gerichtswesen der 
Stadt Rom vom 8.-11. Jh., AUF 4 (1912), 419-562, bringt auch einige Beispiele von Papsturkunden, 
jedoch nichts zu Urban II.; D. GlRGENSOHN, Miscellanea Italiae Pontificiae, Nachr. Göttingen I, 4 
(1974), S. 148. 
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