Elmar Wadle
EHESCHEIDUNG VOR DEM STANDESBEAMTEN.
Das revolutionäre Scheidungsrecht und seine Praxis in
SAARBRÜCKEN
Die Einführung der Zivilstandsregister und des säkularisierten Eherechts zählt zu
den markantesten Neuerungen, die die Französische Revolution in das linksrheini¬
sche Deutschland gebracht hat. In beiden Bereichen werden Konsequenzen aus
zwei revolutionären Prinzipien gezogen, dem Prinzip der Gleichheit und Freiheit
aller Menschen einerseits und dem Prinzip der Weltlichkeit aller bürgerlichen
Verhältnisse einschließlich der Ehe andererseits. Geburt und Tod sollten allein über
den rechtlichen Status einer Person entscheiden und das hieß zugleich, daß andere
Differenzierungen, wie jene nach kirchlichem Recht, etwa Taufe oder Heirat, oder
jene nach der Zugehörigkeit zu traditionellen Ständen, wie Adel oder Klerus,
unerheblich bleiben mußten. Auch das Eherecht wurde am Prinzip der individuellen
Freiheit ausgerichtet und damit zugleich der kirchlichen Kompetenz entzogen. Als
besonders radikal mußte ein revolutionäres Ehescheidungsrecht empfunden werden,
das sich damit begnügte, einen dem contrat civil der Eheschließung entsprechenden
Aufhebungsvertrag zu fordern.
Im folgenden soll dieses Scheidungsrecht näher in den Blick genommen werden.
Anhand einiger Fälle aus der Saarbrücker Überlieferung kann verfolgt werden, wie
die Praxis mit diesem neuen Verfahren vor dem Standesbeamten umgegangen ist
(III). Zuvor sind allerdings Zustandekommen und Inhalt des revolutionären
Ehescheidungsrechts (I) und seine Geltung im linksrheinischen Deutschland (II) zu
erläutern.
291