Schlußbetrachtung
Mit den Vertragsabschlüssen der Jahre 1814 und 1815 kehrte die Saarregion - unter
Einschluß jener Gebiete, die seit der Zeit Ludwigs XIV. zu Frankreich gehört hatten
- zurück zu Deutschland, zur „mère patrie“, wie der französische Historiker
Raymond Poidevin im Kontext einer späteren historischen Situation, nämlich der
von 1955, einmal gesagt hat. Die deutschen Geschichtsschreiber des 19. und 20.
Jahrhunderts haben diese Entscheidung der Friedensstifter von 1815 einmütig
gepriesen, weil sie dem natürlichen Gang der seitherigen geschichtlichen Entwick¬
lung entsprochen habe. Dennoch gab es im Jahre 1813 einen historischen Moment,
in dem auch eine anders verlaufende Zukunft für die Lande an Rhein und Saar
vorübergehend möglich erschien. Eine solche Situation trat ein, als Metternich kurz
nach der Schlacht bei Leipzig Napoleon ein Friedensangebot unterbreitete, wonach
Frankreich bei Verzicht auf all seine rechtsrheinisch gelegenen Gebiete und
Einflußzonen in Mitteleuropa seine linksrheinischen Eroberungen auf Kosten des
ehemaligen Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation hätte behalten können,
also auch die Saarregion. Wäre der Kaiser der Franzosen damals auf diesen
Kompromißvorschlag eingegangen und ein Friedensschluß auf seiner Grundlage
ausgehandelt worden, hätten die Gebiete an der Saar womöglich eine geschichtliche
Entwicklung genommen wie das Elsaß und Lothringen, d. h. sie wären - unter
sicherlich stets nachwirkender Erinnerung an ihre einstige politische und kulturelle
Zugehörigkeit zu Deutschland - im Laufe der Zeit wahrscheinlich ebenso fest in
den französischen Staatsverband und seine Geschichte hineingewachsen.
Natürlich ist eine solche Überlegung ebenso müßig wie jedes „Was wäre, wenn
.. .“, das sich in der historischen Reflexion nicht selten aufdrängen mag, zu guter
Letzt aber doch der die Fakten bejahenden Einsicht Spenglers weichen wird, daß
„Geschichte“ eben „geronnenes Schicksal“ ist. Und die tatsächlichen Ereignisse der
Jahre 1813 bis 1815 verhinderten denn auch, daß die eben erörterte Möglichkeit zur
politischen und historischen Realität wurde: Napoleon, der seiner ganzen psycholo¬
gischen Konstitution nach auf Metternichs Angebot kaum eingehen konnte,
entschied sich, den Krieg weiterzuführen, und seine schließlich endgültige Nieder¬
lage führte wiederum zur Rückkehr der Saargegend nach Deutschland. Indem die
Väter der Verträge von 1814 und 1815 die darauf abzielenden Beschlüsse faßten,
handelten sie in Übereinstimmung mit einer der großen „leitenden Tendenzen“
(Ranke) des gerade anbrechenden, von der Idee des Nationalstaates geprägten
Zeitalters. Wie richtig diese damalige Entscheidung über die Lande an der Saar
aber gewesen ist, hat der weitere Verlauf der Geschichte unserer Region immer
wieder einducksvoll erwiesen.
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