Lothringen zusammensetzen, wo ungeachtet der mehr als ein Jahrhundert alten
Reunion die französische Sprache und die französischen Sitten selbst in den Städten
noch äußerst wenig verbreitet und auf dem Lande vollkommen unbekannt
sind“33.
Wenn man als Ergebnis speziell der kulturellen Assimilationspolitik also festhalten
kann, daß sie sich letzten Endes als wenig erfolgreich erwiesen hat, so muß man
andererseits berücksichtigen, daß der ihr zur Verfügung stehende Zeitraum auch
viel zu kurz war, um nachhaltige Wirkungen zu erzielen.
Abschließend kann man jedoch mit Faber konstatieren34, daß das napoleonische
Herrschaftssystem in den vier rheinischen Departements in dem ganzen Zeitraum
von 1801 bis 1814 niemals wirklich gefährdet war. Dies verdankte das Regime
nicht etwa seinem despotischen Charakter, der ja in anderen Regionen Europas
zahlreiche und schließlich zum Untergang des Empire führende Widerstände und
Rebellionen hervorrief, sondern der außerordentlich geschickten Art, mit der der
Erste Konsul und spätere Kaiser der Mentalität und den konkreten Interessen der an
Rhein und Saar ansässigen Bevölkerung Rechnung zu tragen wußte. Eine gewisse
Ausnahme bildete dabei das - regional unterschiedlich gehandhabte - Konskrip¬
tionswesen, das sich, zunächst noch wenig drückend, im Laufe der langen
Kriegsepoche zu einer immer stärkeren Belastung für die Bevölkerung auswuchs.
Infolgedessen wurde die Versuchung, sich dem Wehrdienst von vornherein oder
sogar in Form der Desertion zu entziehen, von Jahr zu Jahr größer. Dabei kam es
schließlich sogar zu gelegentlichen, örtlich begrenzten Unruhen, wie im Jahre 1809
im Birkenfelder Raum.
Jedoch dürfte es übertrieben sein, solche Vorkommnisse schon als nationalistisch
motivierte Erhebungen zu deuten, wie es etwa Ecker versucht hat35. Denn
Bestrebungen, sich aus persönlichem Selbsterhaltungstrieb heraus dem immer
größeren Blutzoll fordernden Kriegsdienst zu verweigern, gab es im gesamten
Gebiet des napoleonischen Empire und anderswo sogar weitaus mehr als etwa in
der Saarregion36. Daß in französischen Kernlandschaften, wie z. B. in den royali-
stisch eingestellten Provinzen Vendée, Bretagne oder Normandie, solche Unruhen
häufiger und heftiger ausbrachen als in den rheinischen Departements, die insge¬
samt als bemerkenswert friedlich galten, beweist eher, daß es gerade nicht
„nationale“, aus antifranzösischem Gegensatzbewußtsein erwachsende Gründe
waren, die junge Menschen veranlaßten, sich dem Militärdienst zu entziehen.
33 Bericht Keppler (wie Anm. 30) G 7 und A. u. F. Ecker (wie Anm. 13), S. 219.
34 Vgl. K. G. Faber (wie Anm. 15), S. 391 f.
35 Vgl. A. u. F. Ecker (wie Anm. 13), S. 174 f.
36 Vgl. C. HUDEMANN-SlMON, Réfractaires et déserteurs de la grande Armée en Sarre (1802-1813).
Comparaison avec les autres départements rhénans annexés et l’ensemble de l’Empire, in: Revue
Historique CCLXXVII/1, S. 12-45.
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