II.
Der Wandel des Rechts hat sich besonders in den territorialen Landesordnungen,
Polizeiordnungen, Statuten, Satzungen, Geboten und Verboten abgelagert, die in
der gedruckten Form Serien umfänglicher Bände annehmen. Für Brandenburg16
und Württemberg17 sind sie besonders mächtig, aber selbst das zerstückelte und von
der Innsbrucker Verwaltungszentrale immer etwas stiefmütterlich behandelte Vor¬
derösterreich bringt es auf stattliche neun Bände an Gesetzen18. Um das Gesagte an
einem Einzelbeispiel zu verdeutlichen: Im Herzogtum Württemberg wurden allein
im 17. Jahrhundert 516 Ordnungen erlassen, wobei die Zählung von allen Gesetzen
absieht, die das Kamerale und die Finanzen betreffen19.
Spätestens im 16. Jahrhundert setzte in den Territorien eine umfangreiche Gesetz¬
gebung ein, die unter der Bezeichnung der guten Polizei einen enormen Schub an
Reglementierungen mit sich brachte. Es gab die Feuerpolizei, die Gewerbepolizei,
die Sittenpolizei, die Straßenpolizei, die Armenpolizei und die Gewerbepolizei und
viele andere Polizeien, die mittels Gesetzen geordnet wurden. Polizeigesetzgebung
wurde dafür das zeitgenössische Kürzel, dem ein Ausbau der Verwaltung entsprach
und theoretische Überlegungen in Form einer Polizeiwissenschaft parallel liefen.
Der Gemeinnutz diente als legitimierender Ausweis dieser Maßnahmen, die
Gesetzgebung arbeitete auf ein Ziel, auf Veränderung und Verbesserung hin, nicht
nur auf Erhaltung und Sicherung. Gute Polizei war gute Verwaltung im doppelten
Sinn der gesetzlich statuierten Maßnahmen und der neu geschaffenen Organisa¬
tionsstruktur zu deren Durchsetzung. Darauf beruht das pointierte Urteil von Hans
Maier, der „[Territorial-1 Staat hatte ja [. ..] überhaupt keine Verfassung, er hatte ja
nur Verwaltung“20.
Hinter der oft ans Hektische grenzenden statutarischen Tätigkeit standen wachsen¬
de wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme, das enge Zusammenwohnen in
den Städten einerseits - deswegen nimmt die Polizeigesetzgebung auch in den
16 Christian Otto Mylius (Hg.), Corpus Constitutionum Marchicarum. Oder kgl. Preußische und
Churfürstl. Brandenburgische [...] Ordnungen, Edicta, Mandata, Rescripta, 11 Bde., Berlin 1737-
1755.
17 August Ludwig Reyscher (Hg.), Vollständige, historisch und kritisch bearbeitete Sammlung der
württembergischen Gesetze, 19 Bde., Stuttgart-Tübingen 1828-1851.
18 Joseph Petzek (Hg.), Systematisch-chronologische Sammlung aller jener Gesetze, und aller höchsten
Verordnungen, die von den ältesten Zeiten her, bis auf 1792, für die vord. östr. Lande erlassen worden
sind, und jetzt noch bestehen, 9 Bde,, Freiburg 1792-1796.
19 So nach den Inhaltsverzeichnissen von A. Reyscher, Württembergische Gesetze (wie Anm. 17), Bd.
12 und 13.
20 Umfassend erhoben, systematisiert und interpretiert hat das Problem der Polizei erstmals Hans
Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre, 2. Aufl., München 1980; für das Zitat S.
149, 291. - Erstaunlicherweise hat sich der für die Frühneuzeit äußerst sachgemäße und geschmeidige
Begriff gegen das etwas später aufgekommene Paradigma Sozialdisziplinierung nur schwer durchset¬
zen können. Das wird sich vermutlich ändern, weil sich der Begriff Sozialdisziplinierung durch einen
übertriebenen Gebrauch angesichts seiner einseitigen empirischen Abstützung (nur normative Texte)
und seiner geringen theoretischen Durcharbeitung (etwa im Gegensatz zu dem sehr viel besser
herausgearbeiteten Begriffspaar Rationalisierung - Disziplinierung durch Max Weber) rasch abge¬
nützt hat. Entsprechend ist der Polizeibegriff im Vormarsch, wofür ein großes Forschungsprojekt am
Max-Planck-Institut für Rechtsgeschichte in Frankfurt ein erstes Indiz sein könnte.
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