Full text: Stadtentwicklung im deutsch-französisch-luxemburgischen Grenzraum (21)

Widmung auf vielen Kriegerdenkmälern des 19. Jahrhunderts und galt in unzähligen 
Variationen für Sieges- und Erinnerungsmale. 
Nicht nur der Sieger durfte Ruhm und Ehre für sich beanspruchen, auch der Ver¬ 
lierer konnte kraft einer Inversionslogik zur Identifikation mit dem Vaterland auf- 
fordem, um die Niederlage in nationaler Trauerarbeit verarbeiten zu können.7 Diese 
Umkehrung der üblichen Argumentationskette mußte als nationale Besonderheit in 
Frankreich gerechtfertigt werden, zumal die stilistischen Mittel der Kriegerdenkmals¬ 
gestaltung auf beiden Seiten sehr ähnlich waren und die Tradition der gemeinsamen 
Gefallenenbestattung im Krieg von 1870/71 noch praktiziert wurde.8 
Metz mit den unzähligen Kriegergräbern und zahlreichen Kriegerdenkmälern auf den 
ehemaligen Schlachtfeldern war durch die Kriegsereignisse von 1870/71 geprägt und 
national gespalten. Die alljährliche Erinnerung an die Augustschlachten vor Metz 
waren für den alteingesessenen, frankophonen Bevölkerungsteil, für die "indigènes", 
schmerzlicher Rückblick auf die militärische Niederlage, die Besatzungszeit und die 
Folgen der Annexion. Für den deutschen Bevölkerungsteil, die eingewanderten Alt¬ 
deutschen, waren die Erinnerungstage eine Möglichkeit, die tiefe Bindung an das 
neue deutsche Reich selbstbewußt zu manifestieren.9 Verschärft wurde die lokale 
Problematik durch die nur wenige Kilometer westlich von Metz verlaufende neue 
Grenze, die Elsaß-Lothringen von Frankreich trennte. Dieser Grenzverlauf bewirkte 
eine Teilung der Schlachtfelder in Erinnerungsorte mit unterschiedlicher nationaler 
Zugehörigkeit, an denen der Ereignisse von 1870/71 in voneinander abweichender, 
teilweise entgegengesetzter Absicht gedacht wurde. Abhängig von der Zugehörigkeit 
zu Deutschland oder Frankreich gab es nicht nur verschiedene Orte der Erinnerung, 
Gravelotte und Mars-la-Tour, sondern auch die Zeitpunkte der Gedenkfeiern wichen 
voneinander ab. 
Eine Infragestellung des Krieges als eine zunehmend anachronistische Form der 
Konfliktlösung unterblieb auf beiden Seiten, obwohl das Ausmaß der Schlachten um 
Metz auf dem riesigen Schlachtfeld allgegenwärtig war. Sieg oder Niederlage, beide 
mußten zukunftsweisend, staatstragend legitimiert werden. 
Strukturelle Anfänge des Erinnerungskultes in den ersten Jahren nach 1870/71 
Da im Frankfurter Friedensvertrag die Soldatengräberpflege zum ersten Mal zum 
Verhandlungsgegenstand zweier Frieden schließender Staaten gestellt worden war,10 
7 Koselleck (Anm. 3), S. 263. 
8 Ebd., S. 268. 
9 François Roth, La Lorraine annexée. Etude sur la Présidence de Lorraine dans l’Empire 
allemand (1870-1918), Nancy 1973, S. 422: 1890 waren die Altdeutschen mit 47% Anteil an 
der Metzer Zivilbevölkerung den Alteingesessenen (44%) überlegen. 
10 In Art. 16 verpflichteten sich die Vertragspartner, die Gräber der auf ihrem Gebiet bestat¬ 
teten Soldaten zu respektieren und zu unterhalten. Nationale Differenzierungen dieser Leitli¬ 
nie für den Sonderfall Elsaß-Lothringen in: Gesetzblatt für Elsaß-Lothringen, Nr.7, 2. Febr. 
1872 und für Frankreich in: Journal Officiel, Gesetz v. 4. April 1873 (15. April 1873). 
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