und nicht mit spekulativen Gewinnabsichten, sondern zur vorausschauenden Sicher¬
stellung des gemeindlichen Grundbesitzes gerade in Citylagen.
Wie aber kam es zu diesem neuartigen Einsatz des Erbbaurechts gerade in der Stadt
Straßburg, einer auf den ersten Blick durchaus durchschnittlichen mittleren Großstadt
im Deutschen Reich? Dabei spielte das im Reichsland Elsaß-Lothringen anders als in
allen anderen deutschen Bundesstaaten auch auf kommunaler Ebene eingeführte fast
allgemeine Wahlrecht eine wichtige Rolle. Es führte zeitweise zu einer sehr starken
Stellung der SPD, die nach badischem oder bayerischem Vorbild stark pragmatisch-
reformerisch eingestellt war.47 Die Gemeinderäte dieser SPD schlugen am 11. Okto¬
ber 190648- zusammen mit den linksliberalen Demokraten - den sozialpolitisch sehr
engagierten und dem Kreis um Friedrich Naumann nahestehenden,49 in der Stadt¬
verwaltung erfahrenen Beigeordneten Schwandet als Nachfolger des zurückgetretenen
Bürgermeisters Back dem Statthalter zur Ernennung vor. Wenn Schwander beim
"Großen Durchbruch" wollte, "daß das Erbbaurecht praktisch zur Anwendung kä¬
me",50 dann ging er damit über die sozialdemokratische Forderung nach Vergröße¬
rung, nicht Verringerung des städtischen Grundbesitzes51 sogar noch hinaus - indem
er, wie der Naumannanhänger Bruno Weil es nannte, eine Form fand für "den
besonders dringlichen sozialpolitischen Grundsatz: Erhaltung und gleichzeitige Ver¬
wertung des städtischen Grundbesitzes".52 Dabei hatte Schwander an erste Über¬
legungen über die wirtschaftlichen Wirkungen des Erbbaurechts angeknüpft, die schon
47 Vgl. dazu den Sammelband von Jean-Claude Richez, Léon Strauss, François Igersheim u.
Stéphane Jonas, Jacques Peirotes et le socialisme en Alsace 1869-1935, Strasbourg 1989.
Peirotes wurde während seiner Wanderschaft als Buchdruckergeselle in München stark von
dem bayerischen SPD-Führer Georg von Vollmar geprägt; er war dann für die SPD Reichs¬
tags- (1912-18 Colmar) und Landtagsabgeordneter (1911-18 Straßburg) und Straßburger
Gemeinderat (1902-08 und 1914-18); dann als Mitglied der S.F.I.O. 1919-29 erster gewählter
Maire des wieder französischen Straßburg und Abgeordneter in der Nationalversammlung
(1924-28).
48 Die Sozialdemokratie auf dem Strassburger Rathause. Ein Blick auf Werden und Wirken.
Den Wählern zum Strassburger Gemeinderat zur freundlichen Beachtung gewidmet, Straßburg
1908, S. 13.
49 Vgl. Theodor Heuss, Friedrich Naumann. Der Mann, das Werk, die Zeit, München 1968,
S. 314; Rudolf Schwander, Elsaß-Lothringen, in: Süddeutsche Monatshefte 29 (1931/32), S.
161-163 (S. 161: "Friedrich Naumanns national-sozialer Gedanke fand offene Herzen, wie
kaum in einem anderen deutschen Lande").
50 Niederschrift einer Besprechung Schwanders mit Vertretern des General-Unternehmers, der
Süddeutschen Disconto-Gesellschaft Mannheim, am 15. Sept. 1910, AMS-AM, Div. I,
184/1389, S. 4; Aufsichtsratsvorsitzender der Bank war damals (1909-1917) Emst Bassermann,
vgl. Lothar Gail, Bürgertum in Deutschland, Berlin 1989, S. 426.
51 Formuliert in der Programmschrift des sozialdemokratischen Wahlvereins: Sozialdemokratie
(Anm. 48), S. 26, 42 u. 46.
52 Bruno Weil, Erbbaurecht und Straßendurchbruch, in: Straßburger Neue Zeitung, 31.5.1910;
Weil verweist darin auf seinen im "Hilfe"-Kreis schon 1907 gehaltenen Vortrag und seinen
Aufsatz in der "Straßburger Post" v. 11.6.1907.
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