Full text: Stadtentwicklung im deutsch-französisch-luxemburgischen Grenzraum

daher seit 1907 in ihr "umfassendes System positiver Wohnungsfürsorge" die Sanie¬ 
rung von Altbauten in der Innenstadt durch Anlage des "Neuen Boulevards" oder 
"Großen Durchbruchs" auf. 
Der Beginn gemeinnütziger städtischer Bodenpolitik (politique de prévoyance foncière à 
longue échéance) mit Hilfe des Erbbaurechts beim "Großen Durchbruch" ("Grande 
Percée") seit 1909 
Der "Große Durchbruch" unterschied sich von anderen derartigen Unternehmungen 
deutscher Städte,44 die alle viel kleiner angelegt waren, vor allem dadurch, daß die 
Stadt Straßburg das Eigentum am gesamten damals sanierten Altstadtgelände erwarb 
und - behielt. Sie vergab nämlich nur das Recht zu seiner Nutzung durch Bebauung 
in der neuen Rechtsform eines "Erbbaurechts" auf die Dauer von zumeist 65 Jahren. 
Mit den Paragraphen 1012-1017 des Bürgerlichen Gesetzbuchs von 1900 war das 
Erbbaurecht neu geschaffen worden: Gegen einen jährlichen Erbbaurechtszins erwirbt 
der Erbbaurechtsnehmer das - anders als beim Mietverhältnis - im Grundbuch 
verbriefte (und dadurch hypothekarisch beleihbare), veräußerliche und vererbliche 
Recht, für eine bestimmte Zeit (z.B. 99 Jahre) ein Bauwerk auf dem Grundstück 
eines anderen zu errichten und es zu nutzen; im französischen Recht entspricht dem 
ungefähr der "bail emphythéotique". Den wirtschaftlichen Sinn dieses neuen Erbbau¬ 
rechts sah man nach 1900 zunächst darin, daß es kleine Mustersiedlungen mit "Arbei¬ 
terhäusern" von der Sorge um die Baulandbeschaffung und finanzierung befreite. 
Gemeinnützige Baugenossenschaften z.B. konnten nun Erbbaurechte an ihrem Grund¬ 
besitz ausgeben; die Kapitalbeschaffungskosten für Landerwerb ließen sich so ein¬ 
sparen. Das Erbbaurecht war damit zunächst das Instrument einer bodenreformerisch 
und sozialpolitisch motivierten Subventionierung der nicht unbedingt aus den aller- 
ärmsten Gesellschaftsschichten kommenden Bewohner dieser Siedlungen. 
Beim Straßburger "Großen Durchbruch" wandte Bürgermeister Schwander dieses ver¬ 
hältnismäßig neue Rechtsinstrument dagegen erstmals auf Geschäftshausareale in 
teuerster Innenstadtlage an. Das Erbbaurecht wurde für ihn zum Instrument einer 
vorausschauenden Bodenpolitik der Gemeinde. Sie sollte damit "nach einer verhältnis¬ 
mäßig kurzen Zeit hochwertige, in ordentlichem baulichem Zustand befindliche An¬ 
wesen mit dem Grund und Boden in volles, freies Eigentum zurückerhalten";45 alle 
künftigen Steigerungen der Bodenwerte sollten somit ihr zu Gute kommen. Eine deut¬ 
sche Börsenzeitschrift sprach 1913 kritisch davon, daß in Straßburg "erstmals" das 
Erbbaurecht "der großkapitalistischen Bodenspekulation dienstbar gemacht" worden 
sei;46 doch handelte hier gerade nicht das Großkapital, sondern die Stadt Straßburg, 
44 Gründliche Darstellung solcher Unternehmen in vielen deutschen Städten bei Schilling 
(Anm. 43). 
45 Bericht [des Bürgermeisters Schwander v. 10. Mai 1910] an den Gemeinderat betr. die 
Durchführung des großen Straßendurchbruchs, Straßburg 1910, S. 11. 
46 August Rolf, Praxis des Erbbaurechts, in: Plutus. Kritische Wochenschrift für Volkswirt¬ 
schaft und Finanzwesen 10 (1913), S. 410-414, hier S. 410. 
191
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.