ser,39 Die neue "Wohnungsinspektion" der Jahrhundertwende griff dagegen wirklich
scharf durch; ihre Beamten hatten das Recht zu umfassenden Bestandsaufnahmen
und dann auch zum Einschreiten gegen untragbare Zustände - und beides taten sie
auch jenseits von Haus- und Wohnungstür. So wurde die Wohnungsinspektion zu ei¬
ner Gesundheitspolizei, die - endlich - "nicht mehr Halt macht [e] an den Gränzen des
Privatlebens".40
Geschickt setzte die Straßburger Verwaltung dabei den klassischen Ehrenamtscharak¬
ter der deutschen kommunalen Selbstverwaltung zugunsten "neuer, unbequemer Auf¬
lagen" ein. Das Gegenargument der Hausbesitzer, bisher habe es solche Vorschriften
nicht gegeben, war am besten zu entkräften, wenn diese "in ihrer gesundheitlichen
Notwendigkeit praktisch nicht bestritten werden" konnten. Dazu trage weniger die
Autorität eines Beamten bei als vielmehr das im persönlichen Gespräch gegebene
"Zeugnis [...] einer großen Reihe anderer ruhiger und in der Öffentlichkeit durchaus
angesehener ehrenamtlich tätiger Mitbürger"41 - im Hintergrund dieser Straßburger
Erfahrung ist natürlich auch der Gegensatz zwischen reichsdeutschem Beamten und
altelsässischem Bürger zu spüren. Daß somit der ’öffentlichen Meinung’ die Verbes¬
serungsforderungen der Wohnungsinspektion "gerecht" erschienen, nützte entschieden
der Durchsetzung ihrer Forderungen. Falls widerstrebende Hausbesitzer sich auch
nach mehrfacher Belehrung noch weigerten, Verbesserungen und Reparaturen auf ih¬
re Kosten vornehmen zu lassen, reichte es gewöhnlich, ihre Namen in der Presse aller
Parteien zu veröffentlichen. Nur 4 % von den etwa 21 000 in zehn Jahren durch¬
geführten Wohnungsverbesserungsarbeiten wurden erst nach Aufforderung des Haus¬
besitzers durch förmlichen Gemeinderatsbeschluß ausgeführt; dieser Erfolgsbilanz
konnten von 1910-14 noch weitere fast 9 000 positiv erledigte Beanstandungen an
Straßburger Wohnungen hinzugefügt werden.42
Fernziel der Wohnungsinspektion war es, den Weg zu einer "inneren Stadterweite¬
rung"43 zu bereiten, zur endgültigen Niederlegung von licht- und luftarmen, aber
übervölkerten Slums in der seit Jahrhunderten baulich verdichteten City. Doch gerade
in diesem innersten Teil der Stadt war der Hausbesitz durch Erbteilung oft seit Gene¬
rationen überschuldet; nur durch hochgetriebene Mieten ließen sich die drückenden
Hypothekenzinsen aufbringen, von Tilgung konnte keine Rede sein und erst recht
nicht von Investitionen zur Modernisierung heruntergekommener Bausubstanz. Trotz
ihrer beschränkten Mittel nahm die Stadt Straßburg unter Bürgermeister Schwander
39 Krieger (Anm. 24), S. 122f.
40 Mayer (Anm. 15), S. 218f.
41 Alexander Dominicus, Die obligatorische Wohnungsinspektion, ihre Organisation und
Bedeutung für die positive Wohnungspolitik, Berlin 1913, S. 8-10.
42 Albert Fix, 100 ans de politique de l’habitat. L’Office du Logement de la ville de Stras¬
bourg, Obernai 1978, S. 12.
43 Otto Schilling, Innere Stadt-Erweiterung, Berlin 1921; vgl. allein zu Straßburg auch:
L’activité de la ville de Strasbourg dans le domaine de l’hygiène, Paris/Strasbourg 1934, S. 71-
75.
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