Full text: Stadtentwicklung im deutsch-französisch-luxemburgischen Grenzraum

schloß der neue Bauboom der Mitte der 20er Jahre im Grenzland nicht selten 
unmittelbar an die Planungen aus der deutschen Zeit an. Städte im Grenzraum wur¬ 
den damit zu Schnittpunkten partiell gegensätzlicher Urbanisierungsstrategien und - 
prozesse. Im Wohnungsbau sind Luxemburg13 und das in diesem Band von Antoi¬ 
nette Lorang untersuchte Esch-sur-Alzette Beispiele für Synthesen aus unterschiedli¬ 
chen Konzepten in einem seit Jahrhunderten am Schnittpunkt west- und mitteleuro¬ 
päischer Einflüsse stehenden Raum. Solche Synthesen gingen bis in die Formen früh- 
industrieller Wohnungsstatistik, wie Jean-Paul Lehners am Fall von Dudelange zeigt. 
Die Muster der Interferenzen wurden komplizierter, wenn die Prinzipien 
großräumiger Stadtanlage nicht direkt einwirkten, sondern auf "Umwegen". Dies gilt 
etwa für die Berliner Stadtplanung des Baurates Hobrecht nach der Jahrhundertmitte, 
an welcher sich die deutsche Verwaltung unter anderem in Straßburg bei den Planun¬ 
gen der Stadterweiterung zunächst orientierte. Hobrecht verband alte, auf Rechtecks¬ 
trukturen gegründete Baumuster der Berliner Friedrichstadt mit den Haussmannschen 
Ideen, und seine Vorgaben begannen nach 1871 auf die Stadterweiterungen in Elsaß- 
Lothringen einzuwirken; französischer Einfluß konnte hier also in preußischer Ver¬ 
mittlung wirksam werden. Die gegen Jahrhundertende im Deutschen Reich aufbre¬ 
chende, den weiteren Ausbau der neuen Straßburger Viertel rasch beeinflussende 
Auseinandersetzung mit dem künstlerischen - oder "ästhetischen" - Städtebau spiegel¬ 
te damit nicht nur eine deutsch-französische, sondern zugleich auch eine innerdeut¬ 
sche Debatte wider. Eine weitere Differenzierung der Wirkungsmuster zeigt sich bei 
den Bauordnungen, bei denen zu den Einflüssen der Metropolen Paris und Berlin 
sowohl die regionalen Ausstrahlungen aus Baden und dem schweizerischen Basel in 
das Elsaß kamen als auch, in erneuter Vermittlung, zusätzlich die Fortwirkungen von 
Straßburger Reglements in das übrige Elsaß und vor allem nach Lothringen.14 
Schließlich wandelten die Einflußmuster sich nach Epochen. Im Elsaß und in Loth¬ 
ringen hielt sich weniger offiziell als faktisch nach 1918 eine starke Fortwirkung der 
in der deutschen Zeit geschaffenen Strukturen und Vorentscheidungen, wie es in 
diesem Band François Roth für Thionville sowie Sigrid Schmitt und Rolf Wittenbrock 
für Saargemünd/Sarreguemines zeigen. Die Stadt Luxemburg stand dagegen, als trotz 
der festungsbedingten Behinderungen nach 1875 eine intensivere städtische Erweite¬ 
rungspolitik möglich wurde, zunächst unter dem Einfluß belgischer Bau- und Pla¬ 
nungsnormen, die ihrerseits seit der napoleonischen Zeit stark französisch geprägt 
waren. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts setzten sich hier, vermittelt durch Trier und 
Straßburg, verstärkt deutsche bzw. preußische Vorbilder für Steuerungsinstrumente 
und Normenkonzepte durch, die nach 1918 dominant wurden.15 
Genauer zu untersuchen ist auch die Bedeutung der politischen Verfassung für solche 
Interferenzen. Der deutsche Föderalismus scheint zunächst die Resistenz der Regio¬ 
13 Antoinette Lorang, Plateau Bourbon und Avenue de la Liberté. Späthistorische Architektur 
in Luxemburg, Luxemburg 1988. 
14 Ausführlich dazu Wittenbrock, Bauordnungen (Anm. 7). 
15 Ders., Baurecht und Stadtplanung im Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen und 
Orientierungen: Die Stadt Luxemburg im 19. Jahrhundert, in: Hémecht 42 (1990), S. 373-405. 
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