Full text: Stadtentwicklung im deutsch-französisch-luxemburgischen Grenzraum

’Souvenir Français’ ist ein französischer Verein, der von Paris aus dirigiert wird und 
seinen Geist von dort empfangt. Er ist ein guter Leiter der französischen Stimmung. 
Die Erinnerung, der Kultus der Vergangenheit wird aber in Paris, wir möchten sagen 
naturgemäß, in einem anderen Sinne betrieben wie in Berlin. Die Erinnerung ist da 
nur Mittel zum Zweck. [...] So ist es gekommen, daß der Kultus der im 70er Kriege 
Gefallenen eine weitere ständige, laufende Quelle zur Entfremdung zwischen Einhei¬ 
mischen und Eingewanderten geworden ist. Gerade der Totenkult wäre, richtig auf¬ 
gefaßt, hervorragend gewesen, eine Einigung und Annäherung zwischen beiden Bevöl¬ 
kerungsteilen zu begründen."124 
"Die Post" berichtete mit Bezugnahme auf einen Artikel der "Rheinisch-Westfälischen 
Zeitung" von einer kühlen und ablehnenden Haltung in Metz; die Deutschen hätten 
nicht einmal geflaggt: "Rücksicht auf die Geschäfte und saftlose Politik des ’Laisser 
faire, laisser aller’ und sonstige Gefühlsduselei haben dies veranlaßt. Das ist der 
Krebsschaden des Deutschtums in den Reichslanden."125 Dieser Vorwurf an eine 
unentschlossen agierende deutsche Verwaltung zeigt in Ansätzen den Zugzwang, in 
dem sich die Landesregierung in Elsaß-Lothringen befand, und deutet die gegensätz¬ 
lichen Strategien des moderaten Bezirkspräsidenten von Lothringen und der harten 
Linie der Landesregierung und des Militärs an. 
Doch auch auf französischer Seite verstärkte sich die nationale Haltung, der Mythos 
der "provinces perdues" trat wieder überdeutlich in den Vordergrund,126 ein "redres¬ 
sement national" war nicht mehr aufzuhalten.127 Dennoch wurde die Zusammenar¬ 
beit der "Vereinigung" und des "Souvenir Français" bis August 1911 fortgeführt.128 
Die Schmückung des französischen Denkmals auf dem Metzer Gamisonsfriedhof am 
15. August 1911, verbunden mit der Niederlegung eines Palmzweiges durch Maurice 
Barrés, verlief ohne Aufsehen,129 obwohl sich die Lage durch den "Panthersprung 
nach Agadir" verschärfte hatte. Wie angeheizt die Stimmung war, zeigte sich dann 
auch im August 1912, als bei den Feierlichkeiten auf beiden Seiten eine starke mili¬ 
tärische Präsenz zu verzeichnen war. Auf Druck des Militärs, unterstützt durch na¬ 
tionale Propaganda der reichsdeutschen Zeitungen und einer stark erregten öffentli¬ 
chen Meinung, wurde eine härtere Gangart gefordert. Der für Noisseville mit allen 
daraus resultierenden Konsequenzen persönlich verantwortlich gemachte Bezirksprä¬ 
124 Metzer Zeitung v. 24. Aug. 1910, Leitartikel: Gedanken anläßlich der Gedächtnisfeiern, 
von einem Berichterstatter aus Straßburg (18. Aug. 1910). 
125 Die Post v. 17. Aug. 1910. 
126 Claretie (Anm. 49), Vorwort u. S. VIII. Er versteht sein Werk als Zeichen der Erinnerung, 
das er "commme un hommage au pied du monument de Mars-la-Tour" niederlegt. 
127 Roth (Anm. 83), S. 63. 
128 ADM, 12 AL 199. Jahresbericht der "Vereinigung" für 1911, S. 33f. Öffnung eines 
deutsch-französischen Sammelgrabs, Exhumierung und Überführung der französischen Toten 
in die Gruft des Gemeindedenkmals von Batilly. 
129 Metzer Zeitung v. 16. Aug. 1911, vgl. hierzu auch Roth (Anm. 84), S. 65f. 
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