len Gestaltungsmöglichkeiten war die Einweihung eines deutschen Denkmals im Ok¬
tober 1907 auf französischem Boden bei Vüliers-sur-Mame.106 Bei den Einwei¬
hungsfeierlichkeiten in Noisseville am 3. und 4. Oktober 1908 hatte die deutsche
Verwaltung großes Entgegenkommen gezeigt. Französischem Militär wurde die
Teilnahme nicht verweigert, die Veteranen durften ihre Kriegsauszeichnungen tragen,
und neben der deutschen Fahne wehte zum ersten Mal offiziell im Reichsland die
Trikolore. Während der Einweihungsfeierlichkeiten wurde immer wieder die ver¬
söhnende Völkerverständigung über die Gräber hinweg als Zeichen des Friedens
gewertet.107 In der Bronzegruppe des regional finanzierten Denkmals (Abb. 6) hält
ein einen Kriegshelm tragender Genius einen sterbenden Krieger in seinen Armen.
Der regionale Charakter des Denkmals wurde neben dem Finanzierungsmodus durch
die am Fuß sitzende, in lothringische Tracht gekleidete trauernde Frauengestalt
versinnbildlicht - Symbol für das dem Mutterland entrissene Lothringen. Dieses
spezifisch lothringische Selbstverständnis klang auch in der Gedenkrede des Reichs¬
tagsabgeordneten de Wendel an: "Aux enfants de la terre Lorraine qui m’écoutent, je
rappellerai que la fidélité au souvenir des morts, l’esprit de sacrifice, le respect du
passé, l’attachement aux traditions locales, sont des vertus essentielles à toute race qui
veut durer."10® Die anschließend zunächst auf deutsch, dann auf französisch ge¬
haltene Rede des Bezirkspräsidenten von Lothringen, Graf von Zeppelin-Aschhausen,
der das Denkmal in den Schutz der deutschen Verwaltung nahm, erhellte deren Moti¬
vation, ein französisches Denkmal auf reichsländischem Boden zu erlauben: "Honorer
leur mémoire [celle des vaillants combattants, A M.] était un acte de piété, une belle
et noble entreprise. C’est comme un acte de ce genre, conçu sans aucune arrière-pen¬
sée, que je considère l’érection de ce monument." Damit verband er den Wunsch
eines verständnisvollen Miteinanders:109 "Je voudrais volontiers y voir l’indice que
dans la vie aussi on peut, par un estime, par une entente réciproque, entretenir des
relations de bon voisinage", was einen sehr positiven Eindruck auf die Zuhörer hinter¬
ließ.
Ob Noisseville tatsächlich ein Zeichen des Aufbruchs in eine neue Zeit war, konnte
sich nur an den nachfolgenden Wochen und Monaten zeigen. Zunächst intensivierte
sich die Zusammenarbeit zwischen der "Vereinigung" und dem "Souvenir Français".
106 ADM, 12 AL 291. In der allgemeinen Berichterstattung findet sich der Hinweis, daß die
französische Presse den Rahmen der Einweihungsfeierlichkeiten des deutschen Denkmals (des
Kgl. sächsischen Schützen-Füsilier-Regiments № 108 und des II. Jägerbataillons № 13) bei
Villiers auf analoge Gestaltungsfreiräume für Noissevüle untersuchte.
107 Inauguration du Monument de Noisseville élévé aux Soldats Français Tombés en 1870 sur
les Champs de Bataille à l’Est de Metz, Metz 1908, S. 26ff.
108 Ebd., S. 67.
109 Ebd., S. 70 u. S. 91f. "Le Journal" aus Paris vermutet "que ce discours a été lu et approuvé
en haut lieu, que cette journée, du reste, sera historique pour les provinces annexées: elle doit
marquer le commencement d’une ère nouvelle." Zur besonderen französischen Wertschätzung
des Grafen von Zeppelin-Aschhausen vgl. ebd., S. 92.
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