Diese sepulkrale Symbolik ermöglichte ein gemeinsames Gedenken auf religiöser
Grundlage, frei von nationaler Färbung. Im religiösen Freiraum konnte der Toten als
Tote gedacht werden, und in der neutralen lateinischen Inschrift kamen die Aner¬
kennung des ehrenvollen Soldatentodes und sekundär der Gedanke der Waffenbrü¬
derschaft zum Tragen. Diese Verbindung von religiösen Elementen mit dem Ehrenko¬
dex zeigte sich auch in der von Kaiser Wilhelm II. am 18. August 1899 gehaltenen
Einweihungsrede am Denkmal des 1. Garderegiments zu Fuß bei St. Privat. Das
Denkmal, eine mächtige Bronzefigur des geflügelten, geharnischten Erzengels Micha¬
el, der sich stolz und selbstbewußt auf das in der Scheide ruhende Schwert stützt, ging
auf persönliche kaiserliche Anregung zurück.95 Für das machtdemonstrierende
Denkmal fand der Kaiser gemäßigte Worte: "Der gepanzerte Erzengel stützt sich,
friedlich ruhend, auf das Schwert, geziert mit dem stolzen Motto des Regimentes:
’Semper talis!’. Ich will daher, daß dieser Figur auch die allgemeine Bedeutung verlie¬
hen werde. Sie steht auf diesem blutgetränkten Feld gleichsam als Wächter der hier
gefallenen braven Soldaten der beiden Heere, sowohl des französischen wie unseres.
Denn tapfer und heldenmütig sind auch die französischen Soldaten in das ruhmvolle
Grab gesunken." Er schloß die Rede mit dem Hinweis auf die göttliche Vorsehung
und die Gewißheit, daß "auf den heutigen Tag die um den höchsten Richterthrone ge¬
scharten Seelen aller derer, die sich einst in heißem Ringen auf dieser Stelle gegen¬
überstanden, in ewigem Gottfrieden vereint auf uns herabsehen."96
Religiöse und berufsethische militärische Anknüpfungspunkte übernahmen eine Mitt¬
lerfunktion, die Verbindungs- und Annäherungsmöglichkeiten innerhalb des Gefalle¬
nenkultes ermöglichten. Nach einer allgemeinen Entspannungsperiode, gekennzeich¬
net von nachlassender Aggressivität während der Gedenkfeiern und spürbarem Be¬
sucherrückgang, zeigten sich vor dem Hintergrund der ersten Marokkokrise 1905
neue, gegensätzliche Reaktionen auf beiden Seiten. Am 11. Mai 1905 wurde in Ge¬
genwart Wilhelms II. die Gedenkhalle als Nationaldenkmal auf dem großen Krieger¬
friedhof in Gravelotte eingeweiht. Die Tatsache, daß der Kaiser keine Einweihungs¬
rede hielt, wurde öffentlich mit der Rücksichtnahme auf die gespannte Situation
erklärt.97 Trotz der Zurückhaltung des deutschen Kaisers gab die in Mars-la-Tour
1906 errichtete kriegerische Jeanne d’Arc-Statue mit Standarte dem französischen Ge¬
fühl der Bedrohung durch den deutschen Imperialismus Ausdruck. Dicht an der
Grenze postiert übernahm Jeanne d’Arc, die gute Lothringerin, Schutz- und Wehr¬
funktion gegenüber dem potentiellen deutschen Aggressor.98
95 Metzer Zeitung v. 4. Aug. 1899.
96 Metzer Zeitung v. 19. Aug. 1899.
97 ADM, 12 AL 199. Jahresbericht der "Vereinigung" für 1905, S. 24ff.
98 Einhellig wurde ihr in der französischen Presse patriotisch-defensiver Charakter zuerkannt.
Vgl. hierzu: Michèle Lagny, L’image de Jeanne d’Arc en Lorraine 1870-1921, in: Annales de
l’Est 30 (1978), S. 25-70, hier S. 34f.
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