der 90er Jahre, nach den großen Feierlichkeiten des 25jährigen Jubiläums mit über
40000 Schlachtfeldbesuchem,69 schienen die Feierlichkeiten an Attraktivität und in-
tegrativer Funktion zu verlieren, hohe Militärs der Garnison und höhere Vertreter der
deutschen Verwaltung erschienen nicht mehr so zahlreich wie früher, bedeutende
Festredner wurden seltener, die Feierlichkeiten zersplitterten in Einzelaktionen.70
Erst ab 1904 wurden die Feierlichkeiten wieder zu einem bedeutsameren nationalen
Sammelpunkt, der 1910 mit der 40-Jahrfeier einen neuen Höhepunkt erreichen sollte.
Inhaltlich dominierte bei den Gedenkreden bis etwa 1893 die Reichseinigung, rück¬
blickend wurden die Schlachten zu "Feldern der Ehre, die [...] die blutige Saat emp¬
fangen, aus der die köstliche Frucht des Vaterlandes, Einigkeit und Größe, ent¬
sprossen", die es dankend zu bewahren galt mit dem Gelübde 'Treu wollen wir sein,
unsere Pflicht, treu dem Vaterlande, treu dem Kaiser, treu unserem Gott bis in den
Tod!"71 Ab 1894 war eine zunehmende Instrumentalisierung dieser patriotischen
Grundwerte festzustellen, um auf innen- und außenpolitische Probleme und Spal¬
tungstendenzen einzuwirken bzw. Spaltungstendenzen entgegenzutreten. In der
Hauptgedenkrede 1894 richtete sich der Reichseinigungsmythos gegen die Sozialde¬
mokratie: "Missetäter aller Länder und Völker haben einen Bund der Gesetzlosen ge¬
schlossen, geführt, beraten von entarteten Männern der Wissenschaft. [...] Wollen wir
nicht die teuer erkauften Errungenschaften, das nationale Gedeihen, [...] von innen
heraus zerfressen lassen, so müssen wir den Kampf frisch aufnehmen."72 1895 gab
die "Metzer Zeitung" ihrem Leitartikel den Titel "Sozialdemokratie und Jubelfeier",
wobei die fehlende Geschlossenheit der sozialdemokratischen Partei bezüglich der pa¬
triotischen Feste regelrecht ausgeschlachtet wurde.73
Wichtigste Konnotationen der Gedenkreden blieben weiterhin "Ruhmestaten", "Hel¬
denmut", 'Tapferkeit" und die Mahnung der gefallenen Helden an die Überlebenden,
ihnen nachzueifem im Dienst an "König und Reich". Außenpolitische Ereignisse tra¬
ten erst 1900 eher zögernd in den Blickpunkt des Interesses.74 In den folgenden Jah¬
ren wurde der Gedanke der Einheit innen- und außenpolitisch immer stärker akzentu¬
iert.75 1903 stand der Wert der Einheit auch im Mittelpunkt der kollektiven Schwur¬
formel: "Beim Anblick dieser Gräber wollen wir Treue geloben an Kaiser und Reich.
69 ADM, 12 AL 199. Jahresbericht der "Vereinigung" für 1895/96, S. 43, S. 60ff. u. Metzer
Zeitung v. 20. Aug. 1895.
70 Metzer Zeitung v. 15. Aug. 1897, z.B.: Gedenkfeiern des Ost- und Westpreußenvereins am
14. Aug. bei Noisseville.
71 Metzer Zeitung u.a. v. 18. Aug. 1891 u. v. 17. Aug. 1893.
72 Metzer Zeitung v. 17. Aug. 1894.
73 Metzer Zeitung v. 20. Aug. 1895, der einzige Hinweis auf deutsche Kritik an den Er¬
innerungsfeiern in Metz überhaupt.
74 Metzer Zeitung v. 17. Aug. 1900: Interpretation des Boxeraufstandes als neue Bewährungs¬
probe.
75 "Wüster und wilder Parteihader" und die "Irrlichter des Materialismus" sollten bekämpft
werden, vgl. Metzer Zeitung v. 17. Aug. 1901.
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