artikulieren. So wenig diese Aktivitäten unmittelbare Arbeiterinteressen berührten,
muß das neue Engagement sozialgeschichtlich hoch eingeschätzt werden. Erstmals
begannen Arbeiter, den zahlreich entstehenden Vereinen beizutreten bzw. sogar
eigene zu gründen, die nicht mehr der Obhut der Kirche oder der Obrigkeit und deren
moralischen Ansprüchen unterstanden. Es überwogen die Konsum- und geselligen
Vereine.
Insgesamt heißt dies, daß nach der Streikerfahrung zwar keine eigentliche Politisie¬
rung mit emanzipatorischem Anspruch einsetzte, aber der Arbeiter mit einem hohen
Einsatz eigene, neue Lebensbereiche und Freiräume neben der Arbeit und der Familie
entdeckte, die für seine politische Sozialisation langfristig wichtig wurden. Dabei darf
man freilich die einzelnen Leistungen nicht überbewerten, aber die Tatsache, daß
Arbeiter sich selbst zu organisieren begannen wie zuvor das Bürgertum, kann nicht
hoch genug eingeschätzt werden. Es war ein bedeutsamer Schritt, sein Leben selbst in
die Hand zu nehmen. Ohne diese Interessenartikulation wäre die rasche politische
Emanzipation nach dem Krieg nicht möglich gewesen.
Benutzte Literatur
1) allgemein:
Brüggemeier, Franz-Josef, Leben vor Ort. Ruhrbergleute und Ruhrbergbau
1889-1919, München 1983.
Conze, Werner - Engelhard, Ulrich (Hg.), Arbeiter im Industrialisierungsprozeß.
Herkunft, Lage und Verhalten, Stuttgart 1979.
Glaser, Hermann, Industriekultur und demokratische Identität, in: aus politik und
Zeitgeschichte B 41/42/1981.
Haumann, Heiko (Hg.), Arbeiteralltag in Stadt und Land. Neue Wege der
Geschichtsschreibung, Berlin 1982.
Kocka, Jürgen (Hg.), Arbeiterkultur im 19. Jahrhundert (Geschichte und Gesell¬
schaft 5) 1979.
Kramer, Dieter, Theorien zur historischen Arbeiterkultur, Marburg 1987.
Langewiesche, Dieter - Schönhoven, Klaus (Hg.), Arbeiter in Deutschland.
Studien zur Lebensweise der Arbeiterschaft im Zeitalter der Industrialisierung,
Paderborn 1981.
Ritter, Gerhard A. (Hg.), Arbeiterkultur, Königstein 1979.
Ruppert, Wolfgang (Hg.), Die Arbeiter. Lebensformen, Alltag und Kultur von der
Frühindustrialisierung bis zum ,Wirtschaftswunder1, München 1986.
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