Organisation der Arbeiterschaft durch den katholischen Klerus
Als erster versuchte der katholische Klerus nach der Zerschlagung des Rechtsschutz¬
vereins die Arbeiterschaft an der Saar zu organisieren. Bereits nach 2 Jahren gründete
der Dudweiler Pfarrer Oesterling am 3. Februar 1895 den Verband der katholischen
Berg- und Hüttenarbeitervereine im Saarrevier, der 1899 62 Vereine mit 9 372
Mitgliedern umfaßte.19 Obwohl der Verband auch die eigenen materiellen Interessen
der Mitglieder unter Wahrung eines friedlichen Verhältnisses mit den Arbeitgebern
und unter Berücksichtigung der Interessen dieser zu vertreten versprach,20 ist über
gewerkschaftsähnliche Aktivitäten dieses Verbandes noch nichts bekannt.
Erfolgreich war erst ein weiterer Organisationsversuch des katholischen Klerus.21
Dieser hatte seinen Ursprung in der Entwicklung an der Ruhr. Hier war 1894 als erste
christliche Gewerkschaft der Gewerkverein christlicher Bergarbeiter Deutschlands
gegründet worden. Diese neue Organisationsform wurde von den katholischen
Arbeitervereinen der Erzdiözese Köln unterstützt. Auf deren Delegiertenversammlung
1898 in Essen wurden Thesen formuliert, die zur theoretischen Grundlage der
christlichen Gewerkschaftsbewegung werden sollten, die aber auch das Mißtrauen der
katholischen Bischöfe weckten. Man hatte die Zusammenfassung aller Arbeiter in
paritätischen Gewerkschaften, also eine Einheitsgewerkschaft gefordert.22 In den
christlichen Gewerkschaften sah man bereits solche paritätischen Gewerkschaften
verwirklicht, da sie interkonfessionell und politisch neutral sein wollten. Ein Zusam¬
mengehen mit den freien Gewerkschaften wurde für den Fall nicht ausgeschlossen,
daß diese sich auf den Boden der bestehenden Gesellschaftsordnung stellten und sich
vom sozialdemokratischen Gedankengut lösten.
Daraufhin erließ der preußische Episkopat das sogenannte „Fuldaer Pastorale“ vom
22. August 1900. Darin lehnten die Bischöfe die christliche Gewerkschaftsbewegung
ab, ohne sie ausdrücklich zu nennen, und forderten statt dessen berufliche Fachabtei¬
lungen innerhalb der katholischen Arbeitervereine.23
Solche Fachabteilungen existierten jedoch entgegen der Aussagen des Pastorale noch
gar nicht. Vielmehr bemühte sich erst im Laufe der kommenden Jahre eine Berliner
Gruppe katholischer Intellektueller zusammen mit Fürstbischof Kopp von Breslau und
Bischof Korum von Trier diese zu schaffen. Die Initiative ging dabei letztlich von
19 Vgl, Michael Sander, Katholische Geistlichkeit und Arbeiterorganisation. 2 Gutachten aus
dem Saarrevier und die Vorgeschichte des „Fuldaer Pastorale“ von 1900, in: Soziale Frage und
Kirche im Saarrevier. Beiträge zu Sozialpolitik und Katholizismus im späten 19. und frühen
20. Jahrhundert. Saarbrücken 1984, S. 273-302, hier: S. 285 f.
20 Statuten des Verbandes der katholischen Berg- und Hüttenarbeiter-Vereine im Saarrevier,
Saarlouis 1894, § 2 (Bistums-Archiv Trier Best. 108 Nr. 460).
21 Vgl. Michael Sander, Katholische Arbeitervereine Berliner Richtung, in: Archiv für mittel-
rhein. Kirchengeschichte, 37, 1985, S. 115-135.
22 Christliche Gewerkvereine. Ihre Notwendigkeit, Aufgabe und Tätigkeit. Auszug aus den
Verhandlungen des 4. Delegiertentages der katholischen Arbeitervereine der Erzdiözese Köln
^ zu Essen (Ruhr) am 28. Oktober 1898. M. Gladbach 18992, S. 37 f.
23 Texte zur katholischen Soziallehre, Die sozialen Rundschreiben der Päpste und andere
kirchliche Dokumente. Mit einer Einführung von Oswald von Neil-Breuning SJ. Hg. v.
Bundesverband der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) Deutschlands. Kevelaer
19825, S. 71-80.
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