Full text: Das Saarrevier zwischen Reichsgründung und Kriegsende

sichtbaren Erfolge des westfälischen Streiks, der anfangs die Unterstützung fast der 
gesamten bürgerlichen Presse fand, den Bergmann an der Saar mit überspannten 
Hoffnungen erfüllen mußte.17a 
Die Streikbewegung war also notwendig gewesen, da die Bergverwaltung die herr¬ 
schenden Mißstände nicht sehen wollte. Die Beschwerden in der katholischen Presse 
wurden nicht ernst genommen, und die Arbeiter hatten keine Artikulationsmöglich¬ 
keiten bei der herrschenden strengen militärischen Zucht. 
Um das Bewußtsein von notwendigen Verbesserungen bei der Bergverwaltung zu 
erhalten, die noch nicht erfüllten Forderungen durchzusetzen, die Einhaltung der 
gegebenen Zusagen zu überwachen und neue Mißstände anzuprangern, mußten die 
Arbeiter sich eine feste Organisation geben. Im Juli 1889 gründete das Streikkomitee 
in Bildstock den Rechtsschutzverein für die bergmännische Bevölkerung des Ober¬ 
bergamtsbezirks Bonn. 
In den folgenden Jahren geriet der Rechtsschutzverein zwischen die Fronten. Zur 
Durchsetzung der nur zu einem geringen Teil erfüllten Forderungen der Bergarbeiter 
kam es - teilweise gegen den Willen der Führer des Rechtsschutzvereins - zu weiteren 
Streiks. Dies und der Verlust von Berührungsängsten gegenüber der Sozialdemokratie 
führte dazu, daß die katholischen bürgerlichen Kreise, die den Rechtsschutzverein 
anfangs unterstützt hatten, sich zurückzogen und den Verein zu bekämpfen began¬ 
nen. Dies führte zu Spaltungen in der Führerschaft. Während die staatlichen Repres¬ 
sionsmaßnahmen, wie Verurteilung der Führer wegen Beleidigung zu Gefängnisstra¬ 
fen, den Verein nicht treffen konnten, führten Ungeschicklichkeiten in Finanzfragen 
und möglicherweise auch Veruntreuungen zu einem Mißtrauen der Mitglieder. Deren 
Zahl begann abzubröckeln. 
Außerdem endete die Bereitschaft der Bergverwaltung, mit der Vereinsführung zu 
verhandeln. Sie schwenkte auf die Taktik der privaten Schwerindustrie ein, die jedes 
Gespräch mit den Führern von Arbeiterorganisationen ablehnte. 
Die Einführung einer neuen Arbeitsordnung führte dann am Jahresende 1892 zu 
einem neuen Konflikt. Geschlossen wie niemals vorher trat die Belegschaft in den 
Streik. Aber die Konjukturlage ließ dies für die Bergverwaltung nur von Nutzen sein, 
denn sie hatte schon vorher wegen des Absatzmangels die Entlassung von 2 000 
Bergleuten erwogen. Nun konnte sie diese Auseinandersetzung sowohl zu einer 
konjunkturell erwünschten Belegschaftsverringerung ausnutzen als auch zu einer 
Zerschlagung der unerwünschten Arbeiterorganisation. 491 Mann wurden für immer 
und 1 966 Arbeiter auf unbestimmte Zeit von der Bergverwaltung entlassen.18 Dieser 
Schock verhinderte für das nächste Jahrzehnt jede gewerkschaftliche Organisation der 
Saarbergleute. Und auch danach mußte jeder Organisationsversuch von außen in die 
Bergarbeiterschaft des Saarreviers hineingetragen werden, da die Angst der Arbeiter 
vor neuen Repressionen groß war. 
i7aEbenda. 
18 Ebda., S. 66. 
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