Full text: Das Saarrevier zwischen Reichsgründung und Kriegsende

Das bis 1870 nach französischen Maßgaben entstandene Eisenbahnnetz trug ganz 
gewiß ebenfalls dazu bei, daß wegen der wenigen nach Deutschland existierenden 
Schienenwege zunächst noch die Verkehrsbeziehungen mit 1 rankreich dominierten, 
denn das französische Verkehrsnetz, das bis 1870 entstanden war, ist von der 
selbstverständlichen Prämisse her zu sehen, daß das Elsaß und Lothringen einen 
integrierenden Bestandteil des französischen Staatswesens darstellten. Trotz der 
zwischen Frankreich und Deutschland bestehenden Zölle blieb der französische Markt 
auch nach 1870 für die Reichslande vorrangig, denn was sich in vielen Jahrzehnten an 
wirtschaftlichen Bindungen und Verbindungen zwischen Elsaß-Lothringen und 
Frankreich entwickelt hatte, konnte nicht kurzfristig unterbunden werden. Dennoch 
kam es zu Beeinträchtigungen, zumal des lothringischen Wirtschaftslebens, insbeson¬ 
dere im Bereich der Bergwerks- und Eisenindustrie, die mit erheblichen Schwierigkei¬ 
ten zu kämpfen hatte. Grenzziehungen nämlich wirken verkehrshemmend und stellen 
damit eine Trennung, zumindest aber eine Beeinträchtigung der Beziehungen zu den 
Nachbargebieten dar. Vor allem durch die Gewährung von Ausnahmetarifen suchte 
man ihnen deutscherseits entgegenzuwirken.8 Infolge der bereits angesprochenen 
großtechnischen Anwendung des Thomasverfahrens jedoch konnten die Beeinträchti¬ 
gungen nach nur wenigen Jahren nicht nur behoben, sondern in ihr Gegenteil 
gewandelt werden. Dies trug in nicht unerheblichem Umfang dazu bei, daß die 1873 
einsetzende Wirtschaftskrise, die, wie gesagt, im Elsaß und in Lothringen ohnehin 
nicht die Intensität wie im übrigen Reichsgebiet erreichte, hier früher als dort 
überwunden werden konnte. Selbstverständlich ergaben sich hierher auch Vorteile für 
die Eisenbahnen im elsässischen und lothringischen Raum, da der Frachtanfall seit 
den 1878er Jahren höher als im übrigen Reichsgebiet war. Zu berücksichtigen hat 
man bei dieser Feststellung allerdings, daß er mit einer allmählichen Verlagerung der 
Transportrichtung verbunden war. Während er nämlich, wie vermerkt, bis 1870 
vornehmlich nach dem Westen bzw. in den französischen Raum hinein ging, änderte 
sich dies seit 1871 insofern, als nunmehr der deutsche Raum allmählich vorrangig 
wurde. Vollends trat die Vorrangigkeit seit der Anwendung des Thomasverfahrens 
ein. Dadurch erlebte der lothringisch-saarländische Raum einen bisher beispiellosen 
wirtschaftlichen Aufschwung; er ließ in den Jahrzehnten bis zum Ausbruch des 
1. Weltkriegs einen auf den Mineralien Eisen und Kohle basierenden Wirtschaftsraum 
entstehen, der einen Vergleich mit den übrigen großen deutschen Revieren, so dem 
rheinisch-westfälischen, dem oberschlesischen oder dem sächsisch-thüringischen ohne 
weiteres zuläßt.9 
Der Beginn der Verhüttung der Minette in Lothringen und die damit verbundene 
Überwindung der rezessiven Erscheinungen im lothringischen Wirtschaftsleben blie¬ 
ben, wie gesagt, nicht ohne Auswirkungen auf das Verkehrswesen der Region, und 
dies nicht nur im Bereich bestehender Linien, sondern auch im Bereich Streckenneu¬ 
bau. Nachdem bereits in Gesetzeserklärungen von 1872 und 1873 der Neubau 
verschiedener Schienenwege erwähnt worden war, deren „Dringlichkeit und Notwen¬ 
digkeit“ sowohl aus Verkehrs- als auch aus verteidigungspolitischen Gründen resultie¬ 
8 ebd., S. 47. 
9 ebd., S. 48. 
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