Full text: Das Saarrevier zwischen Reichsgründung und Kriegsende

Die außergewöhnliche Bedeutung, die der Erwerb Lothringens für die deutsche 
Wirtschaft besaß, läßt sich selbst anhand der Überzeugungskraft von Zahlen nur 
schwer verdeutlichen. Gleichwohl soll auf sie nicht verzichtet werden, da ihre 
Aussagekraft beeindruckend ist: Während die lothringische Erzbasis im Jahre 1871 
den Abbau von lediglich knapp 400 000 Tonnen Erz gewährleistete, waren es im 
Jahre 1917 beinahe 18 Millionen Tonnen, mithin die fünfundvierzigfache Menge.43 
Man darf zweifelsfrei unterstellen, daß es auch ohne die Annexion Lothringens zu 
einem wirtschaftlichen und damit auch verkehrsmäßigen Zusammenwachsen der 
Industrie an der Saar und im lothringischen Raum gekommen wäre, denn die 
saarländische Kohle und die lothringischen Erze drängten zueinander, da sie sich 
optimal insofern ergänzten, als zwischen den beiden Lagerstätten eine Entfernung von 
nur 70 km Luftlinie bestand.5 
Die Intensität der wirtschaftlichen Verflechtungen von saarländischem Raum und 
Lothringen bereits vor 1871 ergibt sich, von dem hierzu schon Gesagten einmal 
abgesehen, auch aus den folgenden Tatsachen: Ende 1862 hatte der saarländische 
Industrielle Karl Röchling gemeinsam mit der Firma Haldy eine Eisenhütte zu 
Pont-ä-Mousson gegründet. Und während der folgenden Jahre war er intensiv um den 
Ausbau der Verkehrswege in der Umgebung des Werkes bemüht gewesen, insbeson¬ 
dere um die Kanalisierung der Mosel bis Metz. In den Jahren von 1862 bis 1870 
erfolgte nicht nur eine Modernisierung, sondern auch eine Erweiterung der Eisenhüt¬ 
te. In jenen acht Jahren entstanden vier „große, leistungsfähige Hochöfen“ sowie „eine 
der größten Eisengießereien des europäischen Kontinents“.6 
Diese Tatsachen dürfen allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß Deutschland 
am Vorabend der Reichsgründung noch vorwiegend agrarisch geprägt war. Es war 
die Reichsgründung, von der die nachhaltigsten Impulse für die Industrialisierung 
Deutschlands ausgingen. Innerhalb von nur wenigen Jahren trat das Deutsche Reich 
in die erste Reihe der Industriestaaten ein. Übersehen werden darf dabei nicht, daß die 
Wirtschaftskrise seit 1873 einen Rückschlag bei der rasanten Aufwärtsentwicklung 
brachte. In den Reichslanden Elsaß-Lothringen machte er sich allerdings weniger 
stark bemerkbar als im übrigen Reichsgebiet. Es war einmal die Ergiebigkeit der 
landwirtschaftlichen Produktion, die, da sie auf dem deutschen Markt gute Absatz¬ 
chancen besaß, die Krise erträglicher machte, zum andern bestanden auch nach der 
Abtrennung der beiden Provinzen die wirtschaftlichen Beziehungen zu Frankreich 
noch weiter, d. h. daß es dort nach wie vor einen bedeutenden Markt für elsässische 
und lothringische Produkte gab.7 
4aFIellmut Diwald, Geschichte der Deutschen, Frankfurt/M., Berlin, Wien (1978), S. 269. 
5 Vgl. hierzu Konrad Fuchs, Hermann Röchling, in: Saarländische Lebensbilder, Bd. II, 
Saarbrücken 1984, S. 226. 
6 Hans Jaeger, Karl Röchling, in: Saarländische Lebensbilder, Bd. II, Saarbrücken 1984, 
S. 207 f. 
7 Vgl. hierzu Leopold Strauß, Deutsche Eisenbahnpolitik in Elsaß-Lothringen (Schriften des 
Wissenschaftlichen Instituts der Elsaß-Lothringer im Reich an der Universität Frankfurt), 
Frankfurt/Main 1927, S. 44 f. 
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