Full text: Das Saarrevier zwischen Reichsgründung und Kriegsende

Dennoch zeigte sich die Nachfrage zeitweise so bedeutend, daß Aufträge abgewiesen 
werden mußten. Entsprechend gab der Markt auch Preiserhöhungen her, die aber 
schon Ende 1873 wegen starker belgischer Konkurrenz zurückgenommen werden 
mußten, um überhohe Lagerbestände zu vermeiden.64 
Diese Tendenz setzte sich in den nächsten Jahren fort, wobei die schon erwähnten 
1874er Eisenbahntariferhöhungen und der nachfolgende Tarifwirrwar die Situation 
noch verschärften. Durch den Fortfall von Sonderfrachtkonditionen ging fast die 
gesamte norddeutsche Kundschaft verloren. Aus Sicht der Industrie ebenfalls erschwe¬ 
rend, weil kostensteigernd, wirkte das im gleichen Jahr erlassene Verbot der Feuer- 
bzw. Nachtarbeit von Jugendlichen unter 16 Jahren. Es scheint, als ob die Hersteller 
versuchten, die Gestehungskosten über hohe Produktionsziffern möglichst niedrig zu 
halten. Jedenfalls blieben beträchtliche Warenmengen unverkauft, trotz erheblicher 
Preisnachlässe und großzügiger Zahlungsbedingungen.65 Von rund 50 Öfen im Bezirk 
der Handelskammer Saarbrücken waren 1878 nur 29 in Betrieb.66 Alles in allem 
dürfte der Produktionsrückgang max. 20 % betragen haben, wobei die einzelnen 
Zweige verschieden stark betroffen waren. Die Beschäftigtenzahl sank nur um 10 % 
und erreichte schon 1879 wieder den Stand von 1873. Die Abkehr von der 
Freihandelspolitik zeigte also auch hier Wirkung, wenngleich zunächst noch die 
inländische Konkurrenz zu schaffen machte.67 
Die Flaute verschonte die Glasindustrie nicht. Verschiedene Indikatoren deuten 
allerdings darauf hin, daß die Branche das Tief relativ glimpflich überstand: Die 
Betriebseinschränkungen hielten sich in Grenzen. Hohe Lagerbestände konnten 
ebenso finanziert werden wie Investitionen, unter anderem in die Verbesserung der 
Öfen. Der Handelskammer-Bericht von 1877 bezeichnete die Substanz der Hütten als 
recht bedeutend und wenig geschwächt. Schließlich sahen sich die Flaschenglasherstel¬ 
ler noch 1878 in einer Position, die einen Zollschutz nicht unbedingt erforderlich 
machte.68 
Der Versuch, die Auswirkungen des Konjunkturverlaufs in den wichtigsten Saar-Indu- 
strie-Zweigen auf die mittelständische Industrie, auf Handel und Gewerbe zu kom¬ 
64 W. Lauer, Glasindustrie, S. 103 f. und 152; JHK 1870-1873. Die Vorräte an Fensterglas 
beliefen sich Ende 1873 auf ein Viertel der Jahresproduktion. 
65 JHK 1874-1879. Die Preisnachlässe erreichten zeitweise Dimensionen von bis zu 60 %. Die 
Fracht für 10 t Tafelglas auf der Strecke Saarbrücken-Leipzig, das waren 593 km, betrug 
434,- Mark, für die Strecke Charleroi-Leipzig, das waren 864 km, aber nur 334,10 Mark; 
also trotz einer um 45 % weiteren Strecke ein um 24 % günstigerer Frachttarif. 
66 W. Lauer, Glasindustrie, S. 104. Dabei bleibt zu berücksichtigen, daß auch im Boomjahr 
1873 30 % der Öfen kalt blieben; JHK 1873. 
67 JHK der betreffenden Jahre; W. Lauer, Glasindustrie, S. 104 und 135. Differierende Zahlen 
und Maßeinheiten machen genaue Angaben unmöglich. Glasproduktion im Bereich der 
Handelskammer Saarbrücken: 1876: 20 398 t; 1879; 17 601 t; 1880: 22 966 t. 1881 schlos¬ 
sen sich die Hütten zu einem Verkaufssyndikat zusammen. Die St. Ingberter Aktienglashütte, 
gegründet 1868, scheint während der Flaute ihren Betrieb eingestellt zu haben und 1879 
wiedereröffnet worden zu sein; vgl. dazu W. Lauer, Glasindustrie, S. 102 und W. Krämer, 
St. Ingbert und seine Vergangenheit, St. Ingbert 1925, S. 271. 
68 JHK 1877, 1878 und 1880; Handel und Industrie, S. 27 f.; A. Haßlacher, Industriegebiet, 
S. 152 f.; W. Lauer, Glasindustrie, S. 100, 105 und 152 f. Die Öfen wurden sukzessive von 
Koks- auf Gasbefeuerung umgestellt. Konkrete Zahlen über die wirtschaftliche Situation der 
Hütte liegen nicht vor. 
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