Full text: Das Saarrevier zwischen Reichsgründung und Kriegsende

Jahren 1876/77 auch hier in der Flaute Investitionen zwecks Erweiterung des 
Lieferprogramms, während sich die Dillinger Spezialität, nämlich Bleche, ohnehin 
stetig im Markt behaupten konnte.59 
Bilanzieren wir, so hatte die Eisenindustrie nicht nur herbe Preisrückgänge, sondern 
auch starke Produktionseinschränkungen um 30 % und mehr zu verdauen. 1878 
standen nach Haßlacher von 19 Hochöfen inclusive der Krämer’schen Werke in 
St. Ingbert neun kalt. Mit rund 6 300 Beschäftigten arbeiteten circa 18 % weniger 
Männer als auf dem Höhepunkt des Booms.60 Den ruinösen Wettbewerb überlebten 
nur die alteingesessenen Unternehmungen; die beiden Neugründungen scheiterten 
dagegen an ihrer zu dünnen Kapitaldecke. 
Mit dem Jahr 1878 begannen sich die Perspektiven langsam wieder aufzuhellen. 
Bedingt durch das niedrige Preisniveau fand Eisen verstärkt als Baumaterial Verwen¬ 
dung. Die im Juli 1879 in Kraft tretenden Schutzzölle und eine starke amerikanische 
Nachfrage nach Eisenbahnzubehör sorgten weiter für Entlastung, ehe das Thomas¬ 
verfahren zu Beginn der 80er Jahre auch an der Saar die Basis für die Massenstahler¬ 
zeugung schuf und so den Fortbestand der Eisenindustrie gewährleistete.61 
Nebenbei sei erwähnt, daß in die zweite Hälfte der 70er Jahre, also in die 
Stagnationsphase hinein, zwei wichtige Gründungen im Maschinenbau fallen: 
1876 machten sich der vormalige Oberingenieur der Zweibrücker Maschinenfabrik 
Dingler, Ludwig Erhardt, und Partner mit der Firma Erhardt & Sehmer in Schleif¬ 
mühle selbständig. Ihre Erzeugnisse sollten bald Weltgeltung erlangen. Ein Jahr später 
entstand in St. Johann durch Übernahme der Gießerei und Maschinenfabrik Kautz & 
Westmeyer die Firma Dingler, Karcher & Co.62 
Die Übersicht bliebe bruchstückhaft ohne einen Blick auf die traditionsreiche Glasin¬ 
dustrie. Sie hatte gleichfalls von der Verbesserung der Verkehrsverhältnisse entschei¬ 
dend profitiert. 1869/70 beschäftigten 13 Glashütten mehr als 2 000 Arbeiter. Nach 
den kriegsbedingten Störungen fand auch die Glasindustrie schnell wieder zu dem 
alten, von Wachstum geprägten Rhythmus. Bis 1873 wurde die Belegschaft um 21 % 
aufgestockt und die Produktion entsprechend ausgeweitet. Allein in Friedrichsthal 
entstanden drei neue Glashütten.63 
59 H. von Ham, Dillingen, S. 182 ff.; A. Haßlacher, Industriegebiet, S. .117 und 20 f. Vor 
allem Feinbleche und das verzinnte Weißblech blieben anhaltend gefragt. 
60 JHK 1877 und 1878; A. Haßlacher, Industriegebiet, S. 117 f. Die Roheisenkapazitäten 
waren 1877 in Burbach nur zu 50 % und in Neunkirchen nur zu 70 % ausgelastet. 
61 JHK 1878-1880; W. Born,, Groß-Eisenindustrie, S. 35; H. Müller, Übererzeugung, 
S. 95 ff. und 134 f. Eisen fand jetzt u. a. im Bergbau breite Verwendung. Vgl. dazu auch 
Anm. 27. Die Zölle betrugen für Roheisen 10 Mark je t, für Fluß- und Schweißeisen 25 Mark 
je t; das entsprach rund 20 % der Inlandspreise. 
62 A. Haßlacher, Industriegebiet, S. 142 ff.; Handel und Industrie im Saargebiet, Saarbrücken/ 
Düsseldorf/Berlin 1924, S. 81 ff.; Maschinenfabrik Erhardt & Sehmer AG Saarbrücken 
1876-1926. Zur 50. Wiederkehr ihres Gründungstages, Saarbrücken 1926. 
63 Davon 10 auf preußischem Gebiet mit 1 710 Beschäftigten. In die 50er und 60er Jahre fielen 
14 Neugründungen und die Schließung der alten, abgelegenen Hütten. Eisenbahn und Kanal 
begünstigten sowohl den Rohstoffbezug als auch den Warenversand. JHK 1869, 1879 und 
1873; O. Beck, S. 399 ff.; W. Lauer, Die Glasindustrie im Saargebiet, Braunschweig 1922, 
S. 100 ff., 153 f. und 159. 
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