Full text: Das Saarrevier zwischen Reichsgründung und Kriegsende

Ferdinand Stumm, Bückings Schwager, nicht im September 1875 das Werk übernom¬ 
men und so das Überleben gesichert. Der Betrieb war in jenen Jahren zwar gut 
ausgelastet; Aufträge kamen aber nur herein zu Preisen, die unter den Gestehungsko¬ 
sten lagen. Französische Firmen dominierten, unterstützt durch staatliche Ausfuhrprä¬ 
mien, den deutschen Röhrenmarkt.53 
In einer ähnlichen Situation befanden sich auch die anderen Hütten; sie überlebten 
aber aufgrund ihrer hohen Substanz die Durststrecke. Burbach profitierte dabei vom 
Tochterwerk Esch als billigem Roheisenlieferanten, von seiner Spitzenposition in der 
Trägerfabrikation und der schnellen Umstellung der Produktion von Eisenbahnschie¬ 
nen auf Eisenbahnschwellen, Form- und Stabeisen sowie Draht.54 Dennoch stürzte 
der Reingewinn von 3,4 Mio. Franken 1872/73 auf nur noch 550 000 Franken in 
1876/77.55 Eingedenk der Rücklagen von 8 Mio. Franken, die ja auch Erträge 
abwarfen, wird deutlich, daß der eigentliche Hüttenbetrieb in jenen Jahren gerade so 
an den roten Zahlen vorbeigeschrammt sein muß. 
Eine vergleichbare Strategie verfolgte Stumm. Er stellte die Produktion ebenfalls auf 
Träger und Schwellen um und konnte so wenigstens einen Teil der Kapazitäten 
auslasten. Ertragszahlen liegen nicht vor, doch lassen der Erwerb der Haiberger Hütte 
1875 und ein im gleichen Jahr angelaufenes Investitionsprogramm vermuten, daß die 
Krise das alte Unternehmen nicht an den Rand des Ruins getrieben hatte.56 
Um Entlassungen kamen beide große Werke nicht herum. Burbach setzte zwischen 
1874 und 1876 rund ein Drittel, Stumm bis 1877 circa 20 % der 1874 über 2 000 
Beschäftigten frei. 1879 arbeiteten wieder rund 2 100 Mann, also mehr als 1874.57 
Die verbliebene Belegschaft mußte Lohneinbußen hinnehmen, im Schnitt von um die 
20 % gemessen am Höchststand. Im Vergleich zu 1869 lagen die Löhne aber selbst 
1878 noch um 15 % besser.58 
Die für Dillingen erhaltenen Angaben deuten auf eine relativ stabile Lage hin. Bis 
1874 hielt sich die Zahl der Arbeiter konstant um 1 300, um seit 1876 sogar auf 
knapp 1 500 zu steigen. Mit der Konstruktion einer Panzerplattenwalzstraße in den 
53 Das Werk wurde als Kommanditgesellschaft unter der Firma „R. Böcking & Cie.“ fortgeführt. 
Böcking behielt die Leitung und blieb auch finanziell an dem Unternehmen beteiligt. Die 
Produktion erhöhte sich von 3 200 t 1872/73 auf über 9 700 t 1877/78. Die Zahl der 
Beschäftigten verdoppelte sich in dieser Zeit. F. Kloevekorn, Haiberg, S. 57 f. und 61 f. 
54 Burbach, S. 46 ff.; A, Haßlacher, Industriegebiet, S. 119 f.; JHK der entsprechenden Jahre. 
In Esch arbeitete man mit dem besseren Ruhrkoks. Die Trägerproduktion stieg von 18 000 t 
1871/72 auf 27 000 t 1878/79, die der Schwellen von 2 277 t 1871/72 auf 20 608 t 
1877/78. Die Schienenproduktion wurde 1880 eingestellt. Für Form- und Stabeisen sowie 
Schwellen syndizierte sich die Saarindustrie 1877 in einer Verkaufsvereinigung mit den 
Konkurrenten an Rhein und Ruhr. 
55 Burbach, S. 52. Das Kapital der AG betrug 6 Mio. Franken. Zwischen 1875 und 1879 
wurden je 10 % Dividende gezahlt, was nur die Erträge aus den Rücklagen ermöglichten. 
Dazu auch H. Müller, Übererzeugung, S. 123 f. 
56 Neunkirchen, S. 37 ff. Die Schienenproduktion endete schon 1876. Die Hochofengruppe 
wurde modernisiert und auf sechs Ofen erweitert. 1878 kam ein Walzwerk für Träger, 
Schwellen und Universaleisen hinzu. Vgl. auch Neunkirchen, S. 287 f. 
57 JHK 1874-79; Neunkirchen, S. 39. 
58 H. Müller, Übererzeugung, S. 117. Durchschnittslohn pro Schicht: 1869: 2,65 Mark; 1874: 
3,69 Mark; 1879: 3,05 Mark. 
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