Gustav Pillon (Düsseldorf) und dem Gewerkschaftssekretär Heinrich Schneider
(Herne), der Mitglied der DVP war, sollte dem selbst erhobenen Anspruch auf
Objektivität Rechnung getragen werden.
Die Bielefelder Gründungstagung dürfte keineswegs so harmonisch verlaufen sein,
wie es die wenigen Berichte zu suggerieren versuchten50. Insbesondere den Orts¬
gruppen im rheinisch-westfälischen Industriegebiet stieß der Berliner Zentralisie¬
rungskurs negativ auf, erinnerte er sie doch an die unlängst abgeschüttelte Bevormun¬
dung durch Preußen. Die Widerstände ließen sich vor allem an der Person Vogels
festmachen, der ein unnachgiebiger Verfechter einer strengen hierarchischen Ord¬
nung zwischen Geschäftsstelle und den Ortsgruppen war. Für die Geschäftsstelle
„Saar-Verein“ lagen die Vorzüge des Zusammenschlusses auf der Hand: Sie erzielte
über die Reichshauptstadt hinaus eine höhere propagandistische Breitenwirkung und
konnte sich als Volksbewegung präsentieren. Ferner ließen sich Hilfsmaßnahmen wie
die ohnehin nur dezentral zu bewältigende Flüchtlingsfürsorge delegieren, wodurch
die Berliner Zentrale entlastet wurde. Schließlich und letztlich sollte die Bündelung
verstreut und nebeneinander wirkender Kräfte eine Zersplitterung der finanziellen
Unterstützungen verhindern. Erst die Symbiose aus flexibler Geschäftsstelle und
mitgliederstarkem Bund machte die Gesamtorganisation arbeitsfähig. In der Außen¬
darstellung legte Vogel großen Wert auf die volle Selbständigkeit der Bundesorgani¬
sation. der Ortsgruppen und der Geschäftsstelle „Saar-Verein“59 60; de facto bestimmte
jedoch die Berliner Zentrale den Kurs der Propaganda. In der Königgrätzer Straße
liefen die Fäden der Saarvereinsarbeit zusammen, dort fielen die richtungsweisenden
Entscheidungen und von dort erhielten auch die einzelnen Saarvereine ihre Instruk¬
tionen. Allerdings entwickelten die einzelnen Ortsgruppen eine Eigendynamik und
waren keineswegs immer gewillt, den Berliner Direktiven widerstandslos zu folgen.
2.4 Ausschüsse des Bundes und der Geschäftsstelle „Saar-Verein“
Um dem Bedürfnis der süddeutschen Ortsgruppen nach Repräsentation im Bundes¬
vorstand Rechnung zu tragen, wurde bereits 1922 die Zahl der ursprünglich drei
Beisitzer auf 12 bis 18 erweitert. Für die Reputation und die damit verbundene
Einwerbung von Geldern erwies sich weniger dieser regionale Proporz als vielmehr
die Einbindung namhafter Persönlichkeiten in den Bundesvorstand als nützlich.
Adam Stegerwald61 und Albert Südekum62 konnten im Frühjahr 1922 ebenso wie
59 Vgl. SF 1 (1920) 21, S. 209 f.
H) Vgl. Rundschreiben derGSV (Juli 1922), in: LA Saarbrücken, Saar-Verein 1.
hl Der aus der katholischen Arbeiterbewegung stammende Dr. Stegerwald (1874—1945) stieg nach dem
Zusammenbruch der Monarchie in die Führungsspitze der Zentrumspartei auf. Als deren stellver¬
tretender Parteivorsitzender vertrat er die Partei zwischen 1920 und 1933 im Reichstag, seit 1929 sogar
als FraktionsVorsitzender. Daneben hatte er lange Jahre den Vorsitz des Deutschen Gewerkschafts¬
bundes sowie des Gesamtverbandes der Christlichen Gewerkschaften inne. Zwischen März 1919 und
November 1921 bekleidete er das Amt des preußischen Wohlfahrtsministers, von April bis November
1921 war er zugleich preußischer Ministerpräsident. Zunächst als Verkehrsminister (April 1929 bis
April 1930), dann als Arbeitsminister (März 1930 bis Mai 1932) gehörte er allen Kabinetten Brüning
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