wie der übertriebene Sadismus der Militärgeriehtsbarkeit, die schon bei geringfügi¬
gen Vergehen drastische Strafen verhängte1*.
Aus deutscher Sicht war es verhängnisvoll, die Bevölkerung nur unzureichend
aufklären zu können. Schon Ende November 1918 griff die Militärzensur in die freie
Meinungsäußerung ein, wenige Tage darauf erfolgte ein erstes vorübergehendes
Zeitungsverbot. Die saarländische Presse geriet sukzessive in französisches Fahr¬
wasser, indem die Zeitungen zur Kaschierung zensurbedingter „larges blaues“ schon
genehmigte bzw. von der französischen Militärverwaltung verfaßte Artikel überneh¬
men sollten1'. Die Verleger der vier großen in Saarbrücken erscheinenden Blätter
einigten sich zwar, derartige tendenziöse Berichte kenntlich zu machen, riskierten
dadurch aber ein Erscheinungsverbot ihrer Zeitungen. Auflagenschwächere Blätter
konnten sich diese Konfrontation nicht leisten und waren gezwungen, die Artikel
kommentarlos zu übernehmen, zumal sich schon Ende 1918 Engpässe in der Papier¬
versorgung auftaten* 20. Als vorläufiger organisatorischer Höhepunkt der französischen
Pressepropaganda im Saargebiet erfolgte Mitte Juni 1919 die Gründung einer eigenen
Zeitung, des zweisprachigen „Neuen Saar-Kuriers/ Le Nouveau Courrier de la
Sarre“21. Damit wuchs die Gefahr, daß ausnahmslos von der Militäradministration
kolportierte Nachrichten ins unbesetzte Deutschland gelangten; Nachrichten, denen
zufolge die französischen Ambitionen auf fruchtbaren Boden fielen und die saarlän¬
dische Bevölkerung den Franzosen große Sympathien entgegenbrächte22. Dieses
verzerrte Bild fand um so leichter Verbreitung in der deutschen Öffentlichkeit, als
sich große reichsdeutsche Zeitungen weigerten, Berichte über die Verhältnisse an der
Saar zu veröffentlichen, da andere Themen wichtiger schienen23. Die französische
Militärbehörde erließ außerdem restriktive Richtlinien für die Kommunikation und
die Presse. Korrespondenzen durften nur in den gängigen europäischen Sprachen
unter deutlicher Angabe des Absenders verfaßt und nicht von Privatpersonen be¬
fördert werden. Bis zu einer künftigen Regelung war ebenso der Bezug und der
li! Zur Stimmungslage unter den Besatzern vgl. CABANES.
19 Vgl. Süss, S. 29, Siehe Nachrichtensammlung VI (15.04.19) und VIII (23.04.19), in: BA-R 8014/5.
20 Vgl. Kaden/ Springer, S. 30; Wagner, S. 52-69; Weißbuch. Dok. 7, S. 29; SF 7 (1926) 2. S. 21 f.
21 Siehe hierzu S. 196 f.
22 Die tatsächlich vorhandenen profranzösischen Tendenzen in Teilen der Saarbevölkerung - etwa im
Kreis Saarlouis oder innerhalb der Saarbrücker Kaufmannschaft - wurden von beiden Seiten in
Versailles instrumentalisiert. Im Grunde bewiesen die diffamierten „Vaterlandsverräter“ lediglich den
größten Realitätssinn; Es war nach dem verlorenen Krieg abzusehen, daß Frankreich auf längere Zeit
die tonangebende Ordnungsmacht im Saargebiet sein würde. Daher schien energischer Widerstand fehl
am Platze, zumal von deutscher Seite wegen der innenpolitischen Umwälzungen zunächst kaum
Unterstützung zu erwarten war. Für die meisten Saarländer stellte sich freilich die Entscheidung
zwischen aktiver Kooperation mit bzw. Widerstand gegen die Besatzer nicht: Für sie stand die Bewälti¬
gung des Alltags im Vordergrund. Die Befriedigung der unmittelbaren wirtschaftlichen Bedürfnisse
besaß auch hier Priorität vor nationalen Bekenntnissen, und heroischer Widerstand verbot sich ange¬
sichts der selbst in den kleineren Dörfern stationierten französischen Truppen.
23 Vgl. Röchling, S. 30; Posselt, S. 260; SF 15 (1934) 18/19, S. 387. Vgl. hierzu die Absagen ver¬
schiedener Redaktionen an die GSV (Februar - März 1920), in: BA-R 8014/1019.
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