Full text: ‚‚Deutsch die Saar, immerdar!‛‛ (40)

Vertrages durch die politische Rechte in Deutschland Tür und Tor geöffnet. Späte¬ 
stens nach Bekanntwerden des Ententeentwurfs der Friedensbedingungen hätte die 
deutsche Öffentlichkeit auf die zu erwartenden Härten vorbereitet werden müssen; 
statt dessen plädierte man dafür, die Bevölkerung in Protestkundgebungen zu mobili¬ 
sieren41. 
Die Abtretung großer Teile Westpreußens und Posens an Polen, die Rückgabe Elsaß- 
Lothringens an Frankreich, die Autonomisierung Danzigs, die Volksabstimmungen 
in Oberschlesien und Nordschleswig sowie die territorialen Regelungen für die Saar 
und Eupen-Malmedy reduzierten Deutschland um 13% seiner Fläche und 10% seiner 
Bevölkerung. Bedeutende deutsche Minderheiten lebten fortan in den neu entstande¬ 
nen Staaten im Osten. Gleichzeitig büßte die deutsche Wirtschaft 75% ihrer Eisenerz¬ 
förderung, 26% der Steinkohleförderung, 44% der Roheisen- und 38% der Stahl¬ 
produktion ein. Das linke Rheinufer sollte bis zu 15 Jahre durch alliierte Truppen 
besetzt bleiben; ein 50 km breiter rechtsrheinischer Streifen wurde entmilitarisiert. 
Einschneidende Sach- und Finanzreparationsleistungen, deren endgültige Höhe 
zunächst offen gehalten wurde, zählten ebenso wie die demütigende Obergrenze für 
das Militär zu den materiellen Folgen des Versailler Vertrages42. Wenngleich die 
Bestimmungen aus heutiger Sicht nicht so hart waren, wie sie 1919 empfunden 
wurden91 93, bestand während der Jahre der Weimarer Republik ein parteiübergreifender 
Grundkonsens, die schmachvollen Auflagen schnellstmöglich revidieren zu wollen. 
Was speziell die Saarregelung betraf, standen die Versailler Friedensmacher kaum 
weniger im Kreuzfeuer der Kritik. Insbesondere Wilson sah sich mit dem Vorwurf 
der Heuchelei konfrontiert, da er zwar die Annexion des Saargebietes verhindert 
habe, aber insgesamt zu schwach gewesen sei, eine wirklich gerechte Lösung durch¬ 
zusetzen94. Für ihn selbst stellte seine Zustimmung zu dem Kompromiß der befriste¬ 
ten Völkerbundsverwaltung hingegen nur einen zeitlich begrenzten Verstoß gegen 
das nationale Selbstbestimmungsrecht dar, zumal der Bevölkerung auf lokaler Ebene 
ihre politischen Rechte erhalten blieben. Insbesondere der saarländischen Arbeiter¬ 
schaft sollte mit der Saarregelung entgegengekommen werden, um sowohl einem 
weiteren Vordringen des Bolschewismus Einhalt zu gebieten als auch den deutschen 
Nationalismus einzudämmen. Gemeinsam sollten Deutschland und Frankreich zu 
einer Verständigung gelangen. Was Wilson jedoch falsch einschätzte, war, daß keiner 
der beiden Hauptkontrahenten des Weltkrieges wirklich hinter der Versailler Ord¬ 
nung stand; Deutschland war noch nicht so weit, Kriegsschuld und Niederlage 
91 Vgl. SCHWABE; „Gerechtigkeit für die Großmacht Deutschland“. 
92 Vgl. Der Friedensvertrag von Versailles; Peukert, S. 54—57; BariLty: Le role de la minette, S. 244- 
258. 
93 Vgl. hierzu die Sammelbände von BüEMEKE und KRUMEICH/ FEHLEMANN. Vgl. ebenso HlLLGRUBER 
(S. 63-66), der auf das Potential zum Wiedererstarken verweist. 
94 „Ein Evangelium war verheißen, eine Sklavenkette wurde geschmiedet.“: Fischer: Die Verhandlungen 
über die Saarfrage, S. 35. Vgl. ebenso; von DER Kall: Versailles. 
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