Das Hofieren der saarländischen Vereine durch ehrenvolle Empfänge, an denen sich
nicht nur lokale Vereinsabordnungen, sondern in aller Regel ebenso Vertreter der
Kommunal- und Staatsbehörden beteiligten, die geradezu gebetsmühlenartige wech¬
selseitige Versicherung ewiger Treue an allen Zwischenstationen seitens der Gäste
und Gastgeber sowie das Hervorheben der vaterländischen Mission des besuchenden
Vereins erwiesen sich als charakteristisch für derartige Reisen während der Völker¬
bund sj ah re2(15. Verschiedene Interessen kreuzten sich bei diesen Zusammenkünften:
1. Vor dem Siegeszug des Individualtourismus boten sie auch weniger begüterten
Saarländern die Möglichkeit, die großen Städte des Reiches auf einfache Weise
kennenzulernen und dabei zugleich ein nationales Bekenntnis ohne Furcht vor
Repressionen abzulegen. Derartige Statements wurden geradezu von ihnen erwartet
und eingefordert. Jenseits des Saargebiets fanden die Saarländer ein an ihrem
grenzdeutschen Schicksal interessiertes Publikum vor. Sie sollten weitere Kraft für
das Ausharren bis 1935 schöpfen - oder wie es die Stuttgarter Ortsgruppe in einer
Denkschrift an verschiedene Staats- und Reichsministerien ausdrückte: Saarlän¬
dische Vereine sollten während ihrer Besuche in Süddeutschland „Gelegenheit
erhalten, im alten Vaterland hin und wieder deutsche Luft zu atmen“265 266.
2. Die Geschäftsstelle „Saar-Verein“ erkannte bei der Förderung der Vereinsreisen
deren propagandistische Wirkung auf die reichsdeutsche Öffentlichkeit. Im Umfeld
des Besuches einer Saardelegation war es leichter, in den lokalen Blättern auch
allgemeine Artikel über die Saarfrage zu lancieren bzw. neue Kräfte zur Mitarbeit
in der Saarvereinsbewegung zu mobilisieren.
3. Die Behörden ihrerseits bezuschußten derartige Reisen, da sie - trotz aller un¬
politischen Motive, welche sich mit dem patriotischen Habitus mischten - mit
verhältnismäßig wenigen Mitteln eine positive Grundhaltung der Saarländer zum
Reich fördern konnten:
„Für das Gros saarländischer Vereinsmitglieder [...] war die Metapher von der nährenden .deut¬
schen Mutter* zumindest ein Stück weit Realität, auch wenn von Berlin in vielen Fällen gar nichts
oder weniger gezahlt wurde, als man verlangt hatte.““67
3.2.6 Reisen saarländischer Kinder ins Reichsgebiet
Ein weiteres Mittel zur Stärkung der Verbundenheit des Saargebiets mit dem Reich
war die Förderung der seit Anfang der zwanziger Jahre aus privater Initiative ent¬
standenen Reisen saarländischer Kindergruppen in den unbesetzten Teil Deutsch¬
lands268. Sofern sie rechtzeitig von den mehrtätigen Schülerfahrten und Auftritten
265 Hierin bildete die „Machtergreifung“ trotz der erheblichen Zunahme derartiger Fahrten und der
Ergänzung der Besuchsliturgie durch typische nationalsozialistische Symbole keine Zäsur. Allerdings
fungierte der BdS kaum mehr als Initiator dieser Zusammenkünfte. Vgl. hierzu Teil II, Kap. 2.2.
266 Vgl. Denkschrift der Stuttgarter Vereinigung (08.09.20), in: BA-R 2/2689.
267 Linsmayer: Politische Kultur, S. 430.
268 Vgl. VOGEL: Aufgaben des Bundes, S. 13. Zu den Reisen saarländischer Kinder, bei denen der Verein
u.a. mit der „Reichszentrale Landaufenthalt für Kinder e.V.“, der „Zentralstelle der bayerischen
Kinderhilfe fiir Ruhr, Saar und Pfalz beim Roten Kreuz“, der „Rheinischen Frauenliga“ sowie
konfessionellen Vereinigungen wie dem „Evangelischen Volksbund“ kooperierte, vgl. BA-R
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